Herztod: Thriller (German Edition)
gehen. Doch Biltner übersah ihre Avancen geflissentlich, und körperliche Nähe entstand zum ersten Mal ausgerechnet in einem Moment der Wut.
Als er sie dabei erwischte, wie sie erneut unaufgefordert einzelne Konten und Geschäftsfälle prüfte, starrte er sie mit eisigen Augen an, und für den Bruchteil einer Sekunde befürchtete Katja, dass er sie packen und zuschlagen würde. Der Augenblick verstrich in atemloser Stille. »Wenn Sie das noch einmal tun, sind Sie Ihren Job los«, sagte er leise. »Verstanden?«
»Ja.«
»Angst?«
»Ja.«
»Gut so. Agieren Sie niemals wieder hinter meinem Rücken. Das verzeihe ich nicht.« Er lächelte plötzlich und strich miteiner Hand zart über ihr Gesicht. Ihre Knie wurden weich, Erregung stieg in ihr auf. Sie schloss die Augen. Er senkte die Hand, drehte sich um und ließ sie stehen.
Zwei Wochen später nahm er sie mit in sein Kampfsportstudio, und sie war völlig hingerissen, wie er im Ring agierte, seinen Gegner umtänzelte und beherrschte, seinen drahtigen Körper einsetzte. Katja stellte sich vor, wie sie ihn berührte, wie er sie in den Arm nahm und küsste, und sie betete, dass sie an diesem Abend nicht alleine nach Hause fahren musste. Ihr Gebet wurde erhört.
Sie gingen essen und im Anschluss in einen Club tanzen. Biltner war ein Fan des Electro-Swing-Pioniers Parov Stelar, und er tanzte göttlich. Sie konnte sich kaum sattsehen an ihm, an der unbeschwerten Fröhlichkeit und vibrierenden Erotik, die er plötzlich ausstrahlte. Als sie den Club verließen, bestand er darauf, sie nach Hause zu bringen. Endlich, dachte sie.
In dieser Nacht erlebte Katja eine große Überraschung – Sascha Biltner, erfolgreicher Geschäftsmann, schillernd dominante Persönlichkeit, energiegeladener Kampfsportler und geschmeidiger Tänzer, war im Bett eine Niete. Anders konnte sie es nicht ausdrücken. Innerhalb von fünf Minuten war alles vorbei, oder waren es drei? Hinterher ging er unter die Dusche und fuhr kommentarlos nach Hause.
Er braucht Zeit, dachte sie, nicht alle Paare erleben automatisch und auf Anhieb eine erfüllte Sexualität. Doch diese Überlegung enthielt gleich mehrere schwere Irrtümer in einem Satz: Sascha legte weder Wert auf eine erfüllte Sexualität noch auf eine Beziehung mit ihr. Hin und wieder verbrachten sie privat Zeit miteinander, und ab und zu endete ein Abend im Bett – immer in ähnlicher Weise frustrierend für Katja. Jegliche Bemühungen von ihrer Seite, die Erlebnisse zu vertiefen und ihren Status als seine Freundin zu festigen, ignorierte er. Als sie im Oktober gemeinsam nach Helsinki reisten, machte er ihr unmissverständlich klar, dass es nie anders sein würde zwischen ihnen, weil er nicht an einer Bindung oder auch nurlosen Beziehung interessiert sei, und sie die Wahl hätte, die Situation entweder so hinzunehmen, wie sie war, oder aber zu gehen. Ihm sei beides recht.
In dieser Nacht konnte sie lange nicht einschlafen und starrte Löcher in die Decke ihres Hotelzimmers. Sie war verwundert, wie heftig sie reagierte. Na warte, dachte sie, so einfach servierst du mich nicht ab. So einfach serviert mich niemand ab. Mal sehen, wie cool du bleibst, wenn ich mir einen anderen Typen anlache. Am nächsten Tag begann sie kurz nach Veranstaltungsbeginn mit Paul Möller zu flirten, und zwar aus einem einzigen Grund: Sascha und der junge Stuttgarter Arzt konnten sich vom ersten Augenblick an nicht ausstehen.
Irinas Stuhl wackelte schon eine ganze Weile, das wunderte sie kaum noch. Dafür gab es keinen bestimmten Grund, nur viele kleine Anlässe. Sie schwieg an den falschen Stellen und redete, wenn sie besser den Mund gehalten hätte, traf selbständige Entscheidungen, obwohl sie niemand dazu aufgefordert hatte und jeder andere an ihrer Stelle mit Zurückhaltung geglänzt hätte. So war sie schon als Kind gewesen, zu Hause und in der Schule, als Polizistin fanden sich noch mehr Möglichkeiten, in Fettnäpfe zu treten. Irgendwann war sie trotz allem bei Interpol gelandet, aber zufrieden war man nicht mit ihr, besser gesagt, man schätzte ihre Fähigkeiten, stand aber ihrer Haltung und ihrer Persönlichkeit kritisch gegenüber. Doch damit konnte sie leben, besser gesagt: Sie hatte nie anders gelebt, und das barg einen großen Vorteil: Sie war mit sich im Reinen. Konflikte brachte jedes Leben mit sich, manchmal haarsträubende und unerträglich zehrende, aber der Einklang mit sich selbst ersparte ihr wenigstens den Kampf, ständig gegen ihre innere
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