Herztod: Thriller (German Edition)
total geärgert.«
Na, so ein Zufall, dachte Hannah. Zehn Minuten später beendeten sie die Unterredung und machten sich auf den Weg ins Präsidium. Decker hatte Wohle noch einmal eindringlich darauf hingewiesen, dass sie sich unbedingt melden solle, falls ihr noch etwas einfiele. Jede Kleinigkeit sei wichtig. Hannah telefonierte mit Stefanie Hobrecht, um die neuesten Infos durchzugeben, und rief dann im BKA Berlin an, um detaillierte Auskünfte zum Vermisstenfall Paul Möller anzufordern und die Kollegen zu bitten, Kontakt zu den finnischen Behörden aufzunehmen.
»Was machen wir damit?«, fragte Decker, als sie ihr Handy beiseitelegte.
»Damit haben wir einen Grund, Biltner zu befragen, ohne dass die Transplantationen thematisiert werden – er wird sich diesbezüglich auf der sicheren Seite wähnen und keinen Verdacht schöpfen. Immerhin sind Vermisstenfälle mein Spezialgebiet.«
Vielleicht gewinnen wir Zeit, dachte Hannah. Zeit, die die Kollegen in Sankt Petersburg nutzen können. Sie sah auf dieUhr und nahm sich vor, nach der Abschlussbesprechung Feierabend zu machen und in die Pension zu fahren. Ihr Kopf fühlte sich zum Bersten voll an. Sie mochte nicht mehr reden und vor allen Dingen nicht mehr zuhören.
16
Doktor Paul Möller war Hautarzt gewesen und einfach verschwunden, wie es so schön hieß. Der BKA-Bericht, den ihr eine Berliner BKA-Kollegin per Mail geschickt hatte und den sie beim Frühstück las, fasste die Ergebnisse aus Helsinki und Stuttgart zusammen und hinterließ einen schalen Nachgeschmack, den Hannah mit einem zweiten Kaffee hinunterzuspülen versuchte. Von manchem Leben blieb nichts anderes übrig als einige Vermerke in einer dünnen Akte. Das stellte sie nicht zum ersten Mal fest.
Die Nachforschungen vor Ort waren nahezu ergebnislos geblieben – alles lief auf die Vermutung hinaus, dass der Mann den Tagungsort, ein großes Hotel in Hafennähe, am Abend verlassen hatte, um frische Luft zu schnappen, vielleicht noch etwas trinken zu gehen und einen Spaziergang zu machen, von dem er nicht wieder zurückgekehrt war. Es gab keine Zeugen, die ihn außerhalb des Hotels oder des Veranstaltungsprogramms gesehen hatten, zumindest waren keine ausfindig gemacht worden, und von den anderen Teilnehmern war auch niemandem etwas aufgefallen; keiner hatte auch nur eine vage Idee geäußert, wohin der Arzt nach dem letzten Vortrag gegangen sein könnte. Und abgesehen davon, dass die Fachtagung und die ausrichtende Eventfirma erwähnt wurden, fanden sich keinerlei Anmerkungen zu Sascha Biltner oder Katja Wohle.
Aus dem Familien- und Freundeskreis war auch nichts zu erfahren gewesen, was die Nachforschungen hätte voranbringen können, und zwar aus dem schlichten Grund, weil MöllersFamilie klein war und er nicht besonders viele Freunde gehabt hatte. Er sei ganz auf seine Arbeit konzentriert gewesen und habe sich darüber hinaus für Sport und gute Filme interessiert, hatte ein Kollege bemerkt; ein anderer hielt es nicht einmal für ausgeschlossen, dass er irgendwo im Ausland ein neues Leben angefangen hatte. Seine Praxis sei nicht sonderlich gut gelaufen, sein Bankkonto erheblich überzogen, eine Beziehung gerade zerbrochen. Die Exfreundin beschrieb ihn als egozentrisch, herablassend und besserwisserisch. Den vermisst niemand, dachte Hannah. So banal war das manchmal.
Blieb nur die Frage, warum Sascha Biltner, ein Mann mit klaren Zielen und Plänen, Geschäftsführer eines florierenden Eventunternehmens sowie Kopf einer illegalen Organisation mit ausgetüfteltem Netzwerk, sich dazu hinreißen ließ, auf die Provokation eines jungen Arztes einzugehen und dabei derart in Rage zu geraten, dass er ihn im Kampf tödlich verletzte, noch dazu vor Zeugen. Das Erste, was ein Kampfsportler zu lernen hatte – egal, in welcher Disziplin er antrat –, war die Selbstkontrolle, die Beherrschung von Aggressionen.
Es könnte ein Unfall gewesen sein, den er meinte vertuschen zu müssen, weil er es sich in seiner Position – in offizieller wie inoffizieller – nicht leisten konnte, die Polizei einzuschalten und eine Untersuchung zuzulassen. Dafür ging er lieber das Risiko einer Mitwisserin ein, die, fürstlich entlohnt oder notfalls unter Druck gesetzt, schon den Mund halten würde.
Und genau in diesem Punkt hatte er sich verschätzt. Nach Paul Möller krähte längst kein Hahn mehr und hätte nie einer gekräht, wenn die Ermittler nicht in einem anderen Zusammenhang auf Biltner aufmerksam geworden wären,
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