Hesse-ABC
er ist.
Hesse schreibt eine höchst voluntaristische Umschau in der Welt
des Buches im Steppenwolf-Jahr: »Eine Bibliothek der Weltlitera-
tur« (1927). Das Credo lautet: Sucht die Bücher, die zu euch pas-
sen, so sorgsam aus wie lebenslange Freunde. Man braucht nicht
unbedingt viele, aber die müssen verläßlich sein. Jede Art von
Bücherliste, auf der verzeichnet ist, was der Gebildete gelesen
haben muß, ist eine Form von höherem Schwachsinn. Mehr noch,
es ist die Vergewaltigung der zarten Erotik, die den Leser mit dem
ausgewählten Buch verbindet. Warum lesen wir überhaupt? Hesse
antwortet mit einer Sentenz über Sinn und Unsinn von Bildung. Es
sind zugleich die Anfangssätze dieses bemerkenswerten Aufsat-
zes: »Bildung ist nicht Bildung zu irgendeinem Zweck, sondern sie
hat, wie jedes echte Streben nach dem Vollkommenen, ihren Sinn
in sich selbst. So wie das Streben nach körperlicher Kraft, Ge-
wandtheit und Schönheit nicht irgendeinen Endzweck hat, etwa
den, uns reich, berühmt und mächtig zu machen, sondern seinen
Lohn in sich selbst trägt, indem es unser Lebensgefühl und unser
Selbstvertrauen steigert, indem es uns froher und glücklicher
macht und uns ein höheres Gefühl von Sicherheit und Gesundheit
gibt, ebenso ist auch das Streben nach ›Bildung‹, das heißt nach
geistiger und seelischer Vervollkommnung, nicht ein mühsamer
Weg zu irgendwelchen begrenzten Zielen, sondern ein beglücken-
des und stärkendes Erweitern unseres Bewußtseins, eine Berei-
cherung unsrer Lebens- und Glücksmöglichkeiten.«
Dieser Anfangssatz ist einer der längsten Sätze, die Hesse je ge-
schrieben hat. Das, was sich zwischen ihm und dem sehr kurzen
Schlußsatz des Textes an Fingerzeigen auf entlegene wie offenba-
re Buch-Schätze verbirgt, das muß jeder lesend selbst entdecken.
Jedoch schließt Hesse bündig: »Ehe die Meisterwerke sich an uns
bewähren, müssen wir uns erst an ihnen bewährt haben.«
Bitte keine Besuche
Hesse ein Einsiedler? Nein, aber bereits in den dreißiger Jahren
pilgerten die Leser in Strömen nach Montagnola. Der förmlich
überrannte Hesse malte ein Schild für die Toreinfahrt: »Bitte keine
Besuche.« Als lyrisch gestimmten Dichter klang ihm das aber wohl
selbst zu prosaisch. Darum hängte er noch einen Zettel mit altchi-
nesischem Text dazu: »Wenn einer alt geworden ist und das Seine
getan hat, steht ihm zu, sich in der Stille mit dem Tod zu befreun-
den. Nicht bedarf er der Menschen. Er kennt sie, er hat ihrer ge-
nug gesehen. Wessen er bedarf, ist Stille. Nicht schicklich ist es,
einen solchen aufzusuchen, ihn anzureden, ihn mit Schwatzen zu
quälen. An der Pforte seiner Behausung ziemt es sich vorbeizuge-
hen, als wäre sie Niemandes Wohnung.«
Die Welt ist ihm schon lange fremd geworden. Im Grunde träumt
er sich immer noch als Jahrhundertwende-Wanderer von der
Nord- zur Südseite der Alpen. Eine untergegangene Welt, deren
Versinken in zwei Weltkriegen und einer - im Wortsinne - explo-
dierenden Technikentwicklung er immer schon anhand ihrer Kei-
me, nicht erst der sichtbaren desaströsen Resultate, feinnervig
registriert und als zerstörerisch empfunden hatte.
Eine kalte, schnelle - entzauberte - Welt, von der er nun, in seinen
letzten Jahren, keinen Besuch mehr zu erhalten wünscht. Mancher
hat das nicht verstanden oder als bloße Attitüde abgetan. So Erich
Kuby, der 1933 nach Montagnola kommt und in bezug auf den
(ihm ziemlich fremden) Dichter feststellte: Beliebt ist der hier
nicht. Kein Wunder, fand Kuby, wer sich solche Schilder an die
Tür hängt! Aber das Schild ist ein Seelenspiegel Hesses. Über-
haupt fühlt er sich, nachdem er sein »Glasperlenspiel« (1943) be-
endet hat, mehr und mehr als überzähliger Gast in einer
Gesellschaft, die ihn wie ein exotisches Tier anstaunt, aber nicht
versteht. Hesse hat gesagt, was er sagen konnte, und will nur
noch Ruhe. Er arbeitet im Garten, liest, malt und hört Musik. Er
will nichts mehr verkünden oder beweisen, er will ungestört dem
Ende entgegenhorchen, wie er es einer geistigen Existenz allein
für angemessen hält. Nur Briefe und kurze Texte schreibt er noch.
Getreu der altchinesischen Weisheit, sich langsam Schritt für
Schritt, von Fremden unbeobachtet, vom Leben zu verabschieden.
Böcklin
Als Hesse im September 1899 in ↑ Basel ankommt, ist er von Jacob Burckhardt, Nietzsche und Böcklin gefesselt. Alle drei haben eine
Zeitlang in Basel gelebt.
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