Hesse-ABC
gut Klavier), aber auch schwerblütig und zu Depres-
sionen neigend, arbeitete sie als erste Berufsfotografin der
Schweiz. Sie war fast zehn Jahre älter als ihr Mann. Irgendwann -
spätestens 1916, während der Psychotherapie bei dem C.-G.-Jung-
Schüler Lang - aber wurde Hesse klar, wie sehr diese Frau seiner
Mutter glich, von der er sich unterdrückt fühlte. In dem Roman
↑ » Roßhalde « hat er den Niedergang der Ehe und ihre schließliche Auflösung in die totale Entfremdung beschrieben. Immer öfter
verreist Hesse, um dem häuslichen Alltag zu entfliehen. Schon
einen Monat nach der Geburt seines dritten Sohnes Martin 1911
geht er monatelang auf Reisen nach Hinterindien. Maria Bernoulli
fühlt sich verlassen und allein mit Haus und Kindern überfordert.
Als er aus Indien zurückkehrt, beschließt Hesse umgehend, das
Haus in ↑ Gaienhofen zu verkaufen und mit der Familie nach ↑ Bern
überzusiedeln. Aber die Ehe mit Maria Bernoulli kann auch dies
nicht mehr retten: zu verschieden sind sie, zu sehr leben sie in
unterschiedlichen Welten. Im Oktober 1918 erkrankt Maria Ber-
noulli an Schizophrenie. Hesse (der selbst einmal in ↑ Stetten die
Irrenanstalten jener Zeit erlitten hat!) läßt seine Frau in eine
psychiatrische Klinik bringen, wo sie jahrelang interniert bleibt.
Einmal gelingt ihr die Flucht, und ihr Anwalt verklagt Hesse. Sie
selbst reist zu Hesse und bittet ihn um die Kinder, die er inzwi-
schen bei verschiedenen Freunden in Pflege gegeben hat und die
nach seinen Plänen in ein Erziehungsheim kommen sollen. Hesse
bleibt hart. Schon in einem Brief, den er Anfang 1919 an Wilhelm
Schüssen schreibt, klingt ein unangenehm egomaner Ton an, als
er die Situation seiner gescheiterten Ehe zu erklären versucht:
»Meiner Frau geht es wechselnd. Sie ist ›gemütskrank‹, d. h. sie
befindet sich in dem Zustand, der für den Dichter und Religiösen
der ständige, sonst aber seltene Ausnahme ist, nämlich wo man
sich lediglich um das Innere seiner eigenen Seele, sonst um gar
nichts kümmert. Letzte Ursache ist natürlich die Ehe und die Er-
kenntnis, daß es gewagt und nicht gut war, einen Mann zu heira-
ten, der für anderes bestimmt und begabt war.« Hesse will allein
leben - im südlichen Tessin: »Es war mir klargeworden, daß es
moralisch nur noch eine Existenzmöglichkeit für mich gab: meine
literarische Arbeit allem anderen voranzustellen, und nur noch in
ihr zu leben und weder den Zusammenbruch meiner Familie noch
die schwere Geldsorge, noch irgendeine andre Rücksicht mehr
ernst zu nehmen.« 1919 wird Hesse aus der ↑ Gefangenenfürsorge
entlassen. Endlich ist er frei. Schnell löst er seinen Berner Haus-
halt auf und reist ab, nach ↑ Montagnola, nicht ahnend, daß er hier
mehr als vierzig Jahre leben wird. In einem Brief, den er vor sei-
ner Abreise im April 1919 an Ludwig ↑ Finckh schreib t, mischen sich Sorge und Hoffnung: »Dieser Tage verlasse ich Bern und will
mir im Tessin für einige Zeit eine Arbeitsstätte suchen. Ich hoffe
den Tiefstand, auf den meine ganze Existenz gekommen ist, noch
einmal zu überwinden und noch ein Stück zu leben und zu arbei-
ten.«
1923 wird die Ehe mit Maria Bernoulli geschieden, damit Hesse
seine junge Freundin Ruth ↑ Wenger heiraten kann.
Bianca
Titel eines Opernlibrettos, das Hesse für seinen Freund, den Kom-
ponisten Othmar Schoeck, schrieb. Das Unternehmen endete mit
einer Peinlichkeit: Hesses Text war nicht zu gebrauchen. Nach ei-
genem Bekunden hat ihn die Zurückweisung nicht gekränkt, aber
das ist kaum zu glauben. In einem Begleittext (1908/09) zur Oper
hatte Hesse noch versucht, dieses – so gründlich gescheiterte Un-
ternehmen – zu begründen: »Diese Dichtung ist der Versuch, die
romantische Oper zu erneuern.« Die Oper bestehe aus Versen und
Gesang, »ohne unterbrechende Prosa«, der Ton des Dialogs klinge
teils »an die Ballade, teils ans Volkslied« an. Hesse sagt auch
gleich, bei wem er das Versagen sieht, wenn dieser Erneuerungs-
versuch der romantischen Oper scheitere: beim Komponisten.
Denn an diesen stelle sein Text »ungewöhnlich hohe Anforderun-
gen«.
Bibliothek
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