Hesse-ABC
ist eben sehr äußerlich. Und Innen? Eines Tages
zerbricht aus einer Unvorsichtigkeit die rätselhafte Figur, die die
Erinnerung an seinen verlorenen Freund Erwin wie unsichtbare
Strahlen aussandte. Jetzt ist sie zerfallen, und nichts Greifbares
bindet mehr Erinnerung, jetzt füllt sie noch als Abwesende die
Atmosphäre, ist sie ganz Geist geworden.
Ein trennender oder verbindender? Hesse verweigert die einfache
Antwort. Nur die Fragen sind einfach und dauerhaft. Die Antwor-
ten sind kompliziert und vorläufig. Das Geheimnis ist die Ver-
wandlung. Wenn die Verwandlung andauert, dann auch das
Geheimnis. Wir wissen nur, das Geheimnis der Welt liegt in uns
und das unseres Seins in der Welt. Am Ende bekehrt sich Friedrich
und bekennt sich zum Lernenden seines Freundes Erwin. Der Ton
allerdings klingt dann für den freien (nietzscheanischen) Geist, um
dessen Erweckung es ja nicht zuletzt geht – doch allzu pietistisch-
lehrhaft. Erwin als Vorsteher der mystisch-magischen Lehre? Eben
diesen kann es nicht geben. Denn jede mystische Erfahrung (un-
mittelbare Transzendenzerfahrung!) ist hermetisch, nicht mitteil-
bar, geschweige denn lehrbar. So behandelt, verwandelte sich
jede Mystik sofort wieder in den Lehrgegenstand von Scholastik.
Echte Mystik aber steht immer im Widerspruch zu jeglicher Lehre:
ist Moment von Überschreitung des Vorfindlichen, von sinnlich
erfahrbarer Verwandlung. Darum befremdet es, hier etwas auf das
religiös-weltanschauliche Gleis gesetzt zu sehen, was doch
Grunderfahrung von Kunst ist, wie sie Kandinsky ebenso ein-
drucks- wie ausdrucksvoll beschrieb: »Jede Form ist so empfind-
lich wie ein Rauchwölkchen: das unmerklichste geringste
Verrücken jeder ihrer Teile verändert sie wesentlich. Und dies
geht so weit, daß es vielleicht leichter ist, denselben Klang durch
verschiedene Formen zu erzielen, als ihn durch die Wiederholung
derselben Form wieder zum Ausdruck zu bringen: eine wirkliche
genaue Wiederholung liegt außer der Möglichkeit.« Kandinsky
berührt hier den Punkt, der die Modernität von Kunst bezeichnet,
wo das Magische und das Mystische sich im Abstrakten der Form
erfüllen: »Je freier das Abstrakte der Form liegt, desto reiner und
dabei primitiver klingt es.« Hierher aber dringt Hesse nicht durch.
Das wird offenkundig in der Schwäche seiner im Liedhaften
verbleibenden Lyrik. Weder komprimiert noch reduziert Hesse
Sprache, sie ist für ihn überhaupt kein Kunstprodukt, sondern ge-
hört ganz zur Natur des Menschen. Darin liegt zugleich ihr größter
Vorzug wie ihre größte Schwäche. Auch der Schluß von »Innen
und Außen« zeigt die Ambivalenz des bloß Bekenntnishaften, das
ins Weltanschaulich-Lehrhafte mündet, dort seine größte Stärke
entfaltet – und doch am falschen Ort ist. Weil das Richtige, zur
Lehre isoliert, wie der Mystiker als Künstler wissen sollte, immer
falsch wird: »Dies ist der Weg, und den schwersten Schritt hast du
schon getan. Du hast erlebt: Außen kann zu Innen werden. Du bist
jenseits der Gegensatzpaare gewesen. Es schien dir eine Hölle:
lerne, Freund, daß sie Himmel ist! Denn es ist der Himmel, was dir
bevorsteht. Siehe, das ist Magie: Außen und Innen vertauschen,
nicht aus Zwang, nicht leidend, wie du es getan hast, sondern frei,
wollend. Rufe Vergangenheit, rufe Zukunft herbei: beide sind in
dir! Du bist heute der Sklave deines Innern gewesen. Lerne sein
Herr sein. Dies ist Magie.« – Es ist viel von Nietzsches »Zarathu-
stra«-Ton in diesem kleinen Text.
Iris
Eines der Märchen, die Hesse für seine drei Ehefrauen schrieb.
»Iris« entstand 1918 für Maria Bernoulli. Es ist bereits der Rück-
blick auf eine gescheiterte Ehe. Hugo Ball meint, die Bernoulli,
immerhin neun Jahre älter als Hesse, sei eine Art Mutterersatz für
den Dichter gewesen. Zur Mutter, die 1902 starb, hat Hesse immer
ein dunkles, ungeklärtes Verhältnis besessen. In »Iris« heißt es
über Maria Bernoulli: »Sie war älter, als er sich seine Frau ge-
wünscht hätte. Sie war sehr eigen, und es würde schwierig sein,
neben ihr zu leben und seinem gelehrten Ehrgeiz zu folgen, denn
von dem mochte sie nichts hören. Auch war sie nicht sehr stark
und gesund und konnte namentlich Gesellschaft und Feste
schlecht ertragen.« Die Ansprüche, die Iris an ihren Mann stellt,
sind sehr verschieden von den Lebensplänen des Dichters, der
sich gern als ↑ Vogel sieht: »Du wirst dabei wahrscheinlich nicht weiter
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