Hesse-ABC
berühmt werden und Ehren erfahren; dein Haus wird still
sein, und die Falten, die ich auf deiner Stirn seit manchem Jahr
her kenne, müssen alle wieder ausgetan werden ...« Darauf nun
hat Vogel überhaupt keine Lust; er strebt Nietzsches gefährlicher
Existenz nach und will sich nicht einem fremden Lebensentwurf-
beugen. Und daß die Lebensmaßstäbe sich fremd gegenüberste-
hen, auch das spricht Hesse aus, wenn er Iris sagen läßt: »Ach
höre mich wohl: alles was dir jetzt Spielzeug ist, ist mir das Leben
selbst und müßte es auch dir sein, und alles, woran du Mühe und
Sorge wendest, das ist für mich ein Spielzeug, ist für meinen Sinn
nicht wert, daß man dafür lebe.« Mit diesem Unverständnis aber
kann der Dichter nicht leben, davon muß er sich befreien, will er
Dichter bleiben.
Ironie
Wo nicht eitler Selbstzweck, ist sie immer eine Form von Notwehr
gegen feindliche Umwelt. Hesse ist seinem Naturell nach jedoch
kein Ironiker. Dazu fehlt es ihm an Kühle und Distanziertheit – und
wohl auch an artistischem Instinkt. Er will die Ironie auch keines-
wegs (wie Thomas Mann) zum durchgängigen Stilmittel erheben.
Denn Hesse gehört nicht zum Typus eines maskenspielenden Arti-
sten. Er flüchtet in Ironie, allein, um sich vor der herrschenden
Traumlosigkeit zu schützen. Mittels Ironie zieht er einen Bannkreis
um seine seelischen Verletzlichkeiten, schützt er den Bezirk seiner
Verehrungen, gibt dem naiven Kind im denkenden Künstler die
Freiheit zu spielen.
Italien
So ähnlich wie sich Thomas Mann und Hermann Hesse auch in
vielem sein mögen, ein Satz, wie ihn Thomas Mann Tonio Kröger
sagen läßt, wäre Hermann Hesse nie über die Lippen geschweige
denn aufs Papier gekommen: »Gott gehen Sie mir doch mit Italien,
Lisaweta! Italien ist mir bis zur Verachtung gleichgültig! Das ist
lange her, daß ich mir einbildete, dorthin zu gehören. Kunst, nicht
wahr? Sammetblauer Himmel, heißer Wein und süße Sinnlich-
keit... Kurzum, ich mag das nicht. Ich verzichte. Das ganze belleza
macht mich nervös. Ich mag auch all diese fürchterlich lebhaften
Menschen dort unten mit dem schwarzen Tierblick nicht leiden.
Diese Romanen haben kein Gewissen in den Augen ... Nein, ich
gehe ein bißchen nach Dänemark.«
Oder der abwinkende Reinhold Schneider: »Italien, so sehr ich es
lange Zeit liebte, hat mich nie erschüttert.« Für Hesse behält der
Süden immer den Arkadienreiz. Am liebsten würde er allein in
irgendeinem »entlegenen italienischen Nest« leben, um dem
»ganzen Schwindel unseres modernen Lebens« zu entkommen.
Von der Nord- auf die Südseite der Alpen durch das Loch im Berg
– den Gotthardtunnel, auf den schon Nietzsche wartete – zu ge-
langen, kam für ihn einer Wiedergeburt als Mensch unter südli-
cher Sonne gleich. Eine Feier der wiedererwachten Sinne. In
seiner Baseler Buchhändlerzeit (1899-1903) schreibt sich Hesse
hinein in die italienische Kultur; neben dem »Hermann Lauscher«
entstehen Versuche über Boccaccio, Franz von Assisi und Leonar-
do da Vinci. Und er spart darauf, das Land, in dem die Renais-
sance so prachtvoll blühte, zu bereisen. Hier beweist der junge
Hesse Geschäftssinn. Er verfertigt von seinen Notturni-Gedichten
20 Exemplare (die er im Bewußtsein dichterischer Sendung hand-
signiert!) und bietet sie in einem Rundschreiben Freunden und
Bekannten zum Preis von 20 Franken pro Exemplar an. Mit dem
Zusatz: »Bestellungen von nicht Eingeladenen werden nicht ange-
nommen.« Damit hat er dann schon 400 Franken in der Reisekas-
se. Wie jeder beflissene Bildungsbürger bereitet sich Hesse
intensiv vor, lernt im Selbststudium Italienisch, um am 25. März
1901 von Calw aus nach Italien aufzubrechen. Im Gepäck – natür-
lich – ein Baedeker und Jacob Burckhardts »Cicerone – Eine Anlei-
tung zum Genuß der Kunstwerke Italiens«. Hesse ist ein
Reisender, kein Tourist. Darum fällt das angelesene Italienbild
schnell in sich zusammen, ein anderes, selbst erfahrenes, selbst
gesehenes tritt an dessen Stelle. Herber und poetischer zugleich.
In Genua notiert er: »Bahnhof Novi so schmutzig wie der Baseler
Badische.« Doch bald nimmt ihn der südliche Zauber gefangen:
»Man lernt hier die Kunst des faulen Herumlungerns famos.« In
Florenz angekommen, schreibt er an seine Eltern: »Angesichts
dieser Kultur sinkt mein Nationalgefühl auf Null.« Sein Blick wird
böse, wenn er
vergleicht: »Wie gemein so ein feister
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