Hesse-ABC
unter-
haltungssüchtige Zerstreuungswut um ihn herum ist eben etwas
ganz anderes als die gesuchte meditative Stille, die konzentrierte
Passivität – der Müßiggang, der, wie das Motto des »Kurgastes«
mit Nietzsche sagt, aller Psychologie Anfang sei. Und in dieser übt
sich der Kurgast Hesse, ein Fremder in der Kurwelt von Baden, der
doch so gern dazugehörte wie auch Harry Haller, der
↑ Steppenwolf , gern ein unbeschwert-harmloses Mitglied der menschlichen Gesellschaft geworden wäre. Aber es gelingt nicht.
Kurzgefaßter Lebenslauf
Seinen »Kurzgefaßten Lebenslauf« von 1925 beginnt Hesse mit
dem Satz: »Ich wurde geboren gegen Ende der Neuzeit, kurz vor
der beginnenden Wiederkehr des Mittelalters ...« Ein propheti-
scher Satz. Die Reduktion von Aufklärung auf die Resultate einer
abgelösten Technikentwicklung wirkt kulturzerstörerisch. In das
Vakuum einer Kulturleere dringt die neue Bestialität. So kann man
diesen Satz verstehen. Man kann ihn auch verheißungsvoller le-
sen, abgelöst vom Verachtungsbild eines düsteren und abergläu-
bischen Mittelalters, das Hesse nicht teilte. Als eine romantische
Wiederherstellung der Einheit von Natur und Kultur, nach dem
Ende einer sich in Verstandesritualen erschöpfenden Neuzeit. Bei-
de Lesarten sind möglich, und ein sich klar dünkender Geist wird
die Aussage eines derartigen Eröffnungssatzes in Hesses Selbst-
bild indifferent nennen. Und genau das wollte Hesse sein Leben
lang sein: indifferent (das Getrennte in Harmonie überwindend),
aber niemals unter Preis. Darum die salomonische Eröffnungs-
formel des »Kurzgefaßten Lebenslaufs«. Dieser kleine wichtige
Text ist vor allem ein Dokument des Dichters in der Krise: Ein See-
lenspiegel. Chronik des Eigensinns, der es zu Lebenssinn zu brin-
gen versucht. Das Dilemma von »Unterm Rad« spricht sich hier
aus. Ausgestattet mit »wachen, zarten und feinen Sinnen« trifft
der junge Hesse auf eine Welt der Gebote: »Gebote aber haben
leider stets eine fatale Wirkung auf mich gehabt, mochten sie
noch so richtig und noch so gut gemeint sein – ich, der ich von
Natur ein Lamm und lenksam bin wie eine Seifenblase, habe mich
gegen Gebote jeder Art, zumal während meiner Jugendzeit, stets
widerspenstig verhalten. Ich brauchte bloß ein ›Du sollst‹ zu hö-
ren, so wendete sich alles in mir um, und ich wurde verstockt.«
Das sind ideale Voraussetzungen eigentlich nur für eine Existenz,
die gar nicht Beruf im bürgerlichen Sinne bedeutet: als Dichter.
»Die Sache war so: von meinem dreizehnten Lebensjahr an war
mir das eine klar, daß ich entweder ein Dichter oder gar nichts
werden wolle.« Der Bürger akzeptiert den Dichter nur, wenn er tot
oder erfolgreich ist. Hesse wurde erfolgreich – und merkt bald,
daß ihm das nicht gut bekommt: »Jetzt also war, unter vielen
Stürmen und Opfern, mein Ziel erreicht: ich war, so unmöglich es
geschienen hatte, doch ein Dichter geworden und hatte, wie es
schien, den langen zähen Kampf mit der Welt gewonnen.« Doch
um welchen Preis! »Ich hatte gesiegt, und wenn ich nun das
Dümmste und Wertloseste tat, fand man es entzückend, wie auch
ich selbst sehr von mir entzückt war. Erst jetzt bemerkte ich, in wie
schauerlicher Vereinsamung, Askese und Gefahr ich Jahr um Jahr
gelebt hatte, die laue Luft der Anerkennung tat mir wohl, und ich
begann ein zufriedener Mensch zu werden.« Mit Familie, Haus und
Garten. Ein angesehener Mann der Gesellschaft, Sparte »Neo-
Romantik«. Das ändert sich schlagartig mit dem Ausbruch des
Ersten Weltkrieges, angesichts dessen Hesse im Unterschied zur
Mehrheit seiner Landsleute etwas Entscheidendes fehlt: die Be-
geisterung. Er protestiert nicht, will nur, daß das Morden schnell
vorbei ist. Aber das ist der nationalistisch gestimmten deutschen
Öffentlichkeit schon zuviel. Über Nacht wird er zum Volksverräter
erklärt. Das bringt ihn wieder in Abstand zum fragwürdigen Ruhm
und näher zu sich, als Außenseiter. »Es war die Zeit, da ich täglich
Abschied nahm.« Er entdeckt etwas viel Wichtigeres als den wert-
losen Erfolg bei der Masse: die Magie der Buchstaben, die eine
verborgene Welt öffnet, hinter einer Tür mit der Aufschrift »Nicht
für Jedermann«, wie uns das Steppenwolf-Traktat mitteilt. Im
Schlußbild des »Kurzgefaßten Lebenslaufs« faßt sich die schrei-
bende und gärtnernde Existenz Hesses zusammen: in der Ver-
wandlung.
So zeigt uns das launisch-visionäre
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