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Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Decker
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zunehmende Schwäche.
    Trotz der ihm von seinem Arzt verheimlichten Krankheit kann Hes-
    se bis zu seinem ↑ Tod – durch nächtliches Gehirnbluten – ein rela-tiv normales Leben führen.

    Liebe
    Nach Stendhal ein Kristallisationsprodukt. Letztlich ist es immer
    eine Form der Autosuggestion: ein neurotischer Zustand. Liebe
    bedeutet Ekstase, ein gesteigertes Lebensgefühl. Hier beginnt das
    Problem der Künstlerliebe. Denn der Künstler, wenn es ihm Ernst
    mit seinem Werk ist, sucht seine Ekstasen, sein gesteigertes Le-
    ben, zuallererst in der Kunst. Für ihn ist das wirkliche Leben nur
    Inspiration zur Kunst, während der Normalbürger sich mittels
    Kunst das Leben anregender zu machen versucht. Hesse 1934 in
    einem Brief an eine Leserin: »Gerade die guten Künstler und Dich-
    ter sind zwar oft feurige Liebhaber, aber selten gute Gatten. Denn
    der Künstler lebt in erster Linie für sein Werk. Er hat nicht mehr
    Liebe zu geben als ein anderer, sondern eher weniger, da die Ar-
    beit an seinem Werk soviel davon fordert.« In der modernen ar-
    beitsteiligen Gesellschaft ist die Liebe zu einer Funktion
    verkümmert: »Vom bürgerlichen Durchschnittsamerika bis zum
    rötesten Sowjetsozialismus – in keiner wahrhaft ›modernen‹ Welt-
    anschauung spielt die Liebe eine andere Rolle als die unbedeu-
    tende eines nebensächlichen Lustfaktors im Leben, zu dessen
    Regelung einige hygienische Rezepte genügen.«
    Hesse dagegen, von mystisch-franziskanischer Tradition geprägt -
    die als permanente Vergegenwärtigung des Geistes von Geschich-
    te eher eine Antitradition ist –, will die Liebe als Weltschlüssel
    verstanden wissen. Aus Feindschaft heraus verstehen wir nichts.
    Erkenntnis ist für Hesse zuletzt eine Form der Liebe, sie verwan-
    delt das fremde Erkenntnisobjekt in ein Teil des erkennenden Ichs.
    Wie schwer es die Liebes-Theorie dem Dichter in der Lebens-
    Praxis macht, sagt er nicht ohne Selbstironie im »Peter Camen-
    zind«: »Um von der Liebe zu reden, – darin bin ich zeitlebens ein
    Knabe geblieben. Für mich ist die Liebe zu Frauen immer ein rei-
    nigendes Anbeten gewesen, eine steile Flamme meiner Trübe ent-
    lodert, Beterhände zu blauen Himmeln emporgestreckt. Von der
    Mutter her und auch aus eigenem, undeutlichem Gefühl verehrte
    ich die Frauen insgesamt als ein fremdes, schönes und rätselhaf-
    tes Geschlecht, das uns durch eine angeborene Schönheit und
    Einheitlichkeit des Wesens überlegen ist und das wir heilighalten
    müssen, weil es gleich Sternen und blauen Berghöhen uns ferne
    ist und Gott näher zu sein scheint. Da das rauhe Leben seinen
    reichlichen Senf dazu gab, hat die Frauenliebe mir soviel Bitteres
    als Süßes eingebracht; zwar blieben die Frauen auf dem hohen
    Sockel stehen, mir aber verwandelte sich die feierliche Rolle des
    anbetenden Priesters allzuleicht in die peinlich-komische des ge-
    narrten Narren.«

    Liebhaber
    Hesse sah sich lebenslang als verhinderten Liebhaber. Seine im-
    merwährende Sehnsucht war größer und unbestimmter, als daß
    sie dauerhafte Erfüllungen hätte finden können: »Von den ersten
    Verliebtheiten des Schulknaben an war ich ein resignierender,
    schlechter, mutloser, schüchterner und erfolgloser Liebhaber der
    Frauen: Jede, die ich liebte, schien mir zu gut und hoch für mich.
    Ich habe als Jüngling nicht getanzt, nicht geflirtet, habe nie kleine
    Liebesverhältnisse gehabt, und habe eine lange Ehe hindurch, tief
    unbefriedigt, die Frauen zwar geliebt und entbehrt, aber gemie-
    den. Und jetzt, wo ich schon zu altern beginne, stehen plötzlich
    überall Frauen an meinem Weg, ungerufen und meine alte Scheu
    ist verschwunden. Hände finden meine Hand, Lippen meinen
    Mund, und wo ich wohne, finden sich überall Strumpfbänder und
    Haarnadeln in den Ecken. Und mitten in diesem etwas überfüllten
    und hastigen Liebesleben, mitten im Lesen der kleinen Billette, im
    Duft von Haar und Haut und Puder und Parfüms weiß ich, weiß
    einer in mir genau, wohin das will, wohin das führt. Er weiß: auch
    dies soll mir genommen werden, auch dieser Becher soll leerge-
    trunken und mir bis zum Ekel wieder gefüllt werden, auch diese
    heimlichste und schamhafteste Begehrlichkeit soll satt werden
    und absterben, auch aus diesem lang begehrten Paradies soll ich
    bald hinweggehen mit der Erkenntnis, daß das Paradies bloß eine
    Schenke war, aus der man matt und erinnerungslos davonläuft.
    So ist es und so trinke ich auch diesen lauen Becher, und

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