Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Decker
Vom Netzwerk:
Schlußbild dieses wunderbar
    verspielten und trotzdem konzentrierten Textes (den, wer germa-
    nistisches Vokabular nicht fürchtet, getrost einen Schlüsseltext
    nennen darf) den alternden Dichter in einer Gefängniszelle. Einge-
    sperrt, wegen der Verführung eines jungen Mädchens, zeichnet er
    sich dort eine Eisenbahn, die in einen Tunnel hineinfährt. Dann
    legt er den Stift aus der Hand, macht sich klein, geht in sein Bild
    hinein und fährt mit der selbstgemalten Eisenbahn seinen verle-
    gen zurückbleibenden Wärtern davon.

    L
    Landexamen
    Eine Einrichtung Württembergs, um Kindern aus einfachen Ver-
    hältnissen eine kostenlose Hochschulbildung zu ermöglichen. Oft
    waren es strebsame Pietisteneltern, denen für ihre Kinder eine
    theologische Laufbahn auf diesen »Seminaren« vorschwebte. De
    facto waren es Kaderschmieden; ein Großteil der württembergi-
    schen Pfarrer und Lehrer kam aus den Seminaren. Das Landex-
    amen entschied über die begehrten Freistellen auf einem der
    Seminare, für die der Staat die Kosten übernahm. Zur Vorberei-
    tung aufs Landexamen hatten sich spezielle Pauk-Schulen einen
    zweifelhaften Ruf erworben. Auch Hermann Hesse kam in eine
    solche, nach Göppingen zum alten Rektor Bauer. Dieses Unikum
    beschrieb er später in »Aus meiner Schülerzeit«: »Der sonderbare,
    beinah abschreckend aussehende, mit zahllosen Originalitäten
    und Schrulligkeiten ausgestattete alte Mann, der hinter seinen
    schmalen grünlichen Augengläsern hervor so lauernd und
    schwermütig blickte, der unsere enge, überfüllte Schulstube voll-
    rauchte, wurde mir für einige Zeit zum Führer, zum Vorbild, zum
    Richter, zum verehrten Halbgott.« Der junge Hermann Hesse ist
    also durchaus zu Bewunderung und Verehrung fähig, nur dort, wo
    man sie ihm abpressen will, rebelliert er. Im Sommer 1891 besteht
    Hermann Hesse das Landexamen und zieht ins Klosterseminar
    ↑ Maulbronn ein.

    Laotse
    Verfasser eines der faszinierendsten Bücher der Weltliteratur:
    »Taoteking«. Geheimnisvoll schillert es in diesem Meisterwerk der
    altchinesischen Literatur, das vor etwa 2500 Jahren geschrieben
    wurde. Hesse hat es der Bibel an die Seite gestellt. Vor allem sei-
    nes paradoxen Charakters wegen. Wenn es neben Heraklit einen
    Dialektiker par excellence gibt, dann Laotse.
    Was ist das Tao? Der Urgrund, in den alles, was von ihm ausgeht,
    einmal zurückläuft: »dort, wo am tiefsten das tiefe/liegt aller ge-
    heimnisse pforte«. Das Schwere und Leichte, das Licht und das
    Dunkel, die Ruhe und die Bewegung, das Oben und das Unten –
    alles geht aus seinem Gegenteil hervor. Wahre Weisheit besteht
    nun darin, das rechte Maß zu finden: »der weise aber tut ab das
    zuviel/den Überfluß/das Übermaß«. Da denken wir sofort:
    ↑ Goethe! Auch d essen Harmonie-Vorstellung von Natur und Geist, Wille und Verstand, Glauben und Wissen – zielt auf ein die Gegensätze überformendes Ganzes. Hesse verehrt in Goethe darum den
    west-östlichen Denker, seine Fähigkeit, das verspielt Helle mit der
    animistisch-magischen Ursprungsdunkelheit zusammenzubringen.

    Lauscher, Hermann
    Oft unterschätzt: die »Hinterlassenen Schriften und Gedichte von
    Hermann Lauscher« (1901). Sie bringen Hesse die Einladung von
    Samuel Fischer ein, künftig in seinem Verlag zu publizieren. Von
    diesem höchst poetischen kleinen Buch laufen unterirdische Kanä-
    le zum »Demian« oder auch zur Künstlernovelle »Klingsors letzter
    Sommer«, schließlich sogar zum rebellischen »Steppenwolf« und
    altersweisen »Glasperlenspiel«. Ein Schlüsselbuch, das viele der
    späteren Motive schon in sich trägt. Ist Harry Haller also ein in die
    Jahre gekommener Hermann Lauscher? In gewisser Weise schon.
    Ein Ästhet jedenfalls, den die Bitterkeit einer brutal-
    phantasielosen Zivilisation in die Abgründe surrealer Traumreiche
    stößt. Lauter Türen: »Eintritt nur für Verrückte.«
    Ein sehr modernes Buch, in seiner mehrfach fragmentarisch ge-
    brochenen, fast skizzenhaften Form: ein Traumbuch im dichteri-
    schen Niemandsland zwischen den »Nachtwachen Bonaventuras«
    und Rilkes »Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge«. Der
    Traum auf der Grenze zum Alptraum. Ein Kuriosum dieses Buches
    ist das Auftreten Hermann Hesses als Freund Hermann Lauschers.
    In Lauschers »Tagebuch 1900« mimt er ein »langes Gespräch mit
    Hesse, der mich natürlich nörgelte und zwickte, bis ich grob wur-
    de«. Oder auch: »Hesse will mir einen Artikel über Tieck abjagen,
    den er

Weitere Kostenlose Bücher