Hesse-ABC
Entschuldigung für halbherziges Künstlertum ist.
Vielleicht hat Maria Bernoulli darauf gehofft, daß Hesse den Ent-
schluß Peter Camenzinds, in seinem Dorf zu bleiben und sich den
kleinen Dingen des Lebens zu widmen, teilen würde, aber das war
ein Irrtum. Denn in Hesse steckt ja auch immer noch der »Her-
mann Lauscher«, der in seiner dunklen Weiträumigkeit des Innen
direkt auf den »Demian« zustrebt. Aber auch im »Camenzind« ist
schon mit den ersten Sätzen gesagt: »Im Anfang war der Mythus.«
Das wird zum Programm für Hesses Schreiben, wie er rückblik-
kend in der Skizze »Eine Arbeitsnacht« formulieren wird: »Eine
neue Figur beginnt für mich in dem Augenblick zu entstehen, wo
eine Figur mir sichtbar wird, welche für eine Weile Symbol und
Träger meines Erlebens, meiner Gedanken, meiner Probleme wer-
den kann. Die Erscheinung dieser mythischen Person (Peter Ca-
menzind, Knulp, Demian, Siddhartha, Harry Haller usw.) ist der
schöpferische Ausblick, aus dem alles entsteht. Beinahe alle Pro-
sadichtungen, die ich geschrieben habe, sind Seelenbiographien,
in allen handelt es sich nicht um Geschichten, Verwicklungen und
Spannungen, sondern sie sind im Grunde Monologe, in denen
eine einzige Person, eben jene mythische Figur, in ihren Bezie-
hungen zur Welt und zum eigenen Ich betrachtet wird.« Hugo Ball
hat den »Camenzind« einen »Aufschneider«-Roman genannt. Vol-
ler jugendlicher Kraftgebärden, doch immer auf der Suche nach
einem sicheren Ort, mütterlicher Heimat: »Im ›Camenzind‹ möchte
nun Hesse am liebsten als Mistral aus den Bergen gelten. Als
Flaggenschwinger und Sturmposaune. Goethes Attachement an
die Natur, Nietzsches Mistrallied und Rousseaus Paradiesträume–:
Das sind die Ideen, die Traditionen des Buches.« Und es ist noch
etwas in dem Buch, wenn auch in sehr stilisierter (beinahe parfü-
mierter) Form: ein schwärmerischer Franziskanismus. An einer
Stelle schreibt Hesse sogar, Peter Camenzind trage sich mit dem
Gedanken, eine »Geschichte der Minoriten« (der franziskanischen
Minderbrüder) zu schreiben. Der heilige Franziskus (Hesse
schreibt auch tatsächlich kurz entschlossen eine kleine Monogra-
phie über ↑ Franz von Assisi) wird für He sse zur Seele Italiens. An dieser Verbindung wird er zum großen Liebenden des Südens. Er
sieht die Städte und Landschaften ganz im Lichte des franziskani-
schen Geistes: Hinwendung zur Natur, freiwillige Armut und soli-
darisches Leben. Aber auch der protestantisch-pietistische
Ketzerchronist und Mystiker Gottfried Arnold wird als geistiger
Ahne erwähnt. So ist in diesem Buche alles schon angelegt, was
weniger stilisiert, weniger künstlich in späteren Texten wieder-
kehrt: auch das Ideal der »begierdelosen Liebe«, auch die Wande-
rer- und Weinvariationen, die Ablehnung der gelehrten
Unwissenheit, das Motiv der Läuterung durch Leiden. Es ist zwei-
fellos viel Idylle (auch falsche) im »Camenzind«. Hesse hat davor
später nie die Augen verschlossen und ist, ohne seinen ersten
großen Erfolg je zu verleugnen, doch sehr auf Distanz zu diesem
Buch gegangen. Nach dem »Camenzind« schrieb er die nüchterne
Geschichte eines an der Drillschule und allgegenwärtiger Lieblo-
sigkeit Zerbrechenden: »Unterm Rad«. Und die ihn eben noch für
den »Camenzind« mit klebrigen Lobesreden zuschmierten, zeigten
sich nun von ihrer anderen Seite: »Und jetzt spucken mich von
allen Seiten Leute an, denen ›Unterm Rad‹ ein Ärgernis ist.« Doch
einige, sonst eher prosaische Geister haben gerade den etwas
altklug daherkommenden »Camenzind« am meisten von Hesse
gemocht. So erinnert sich Bert Brecht dieses Buches als »etwas
Kühles, mit Herbstbuntheit und Herbheit gefülltes Papier«: »Es ist
einer darin, der am Schluß nurmehr roten Wein trinkt und ver-
kommt und Jahreszeiten anschaut und den Mond aufgehen läßt,
das ist seine Beschäftigung!«
Petit cénacle
Freundeskreis in ↑ Tübingen, dem Hesse a ngehörte: als einziger Nicht-Student (Sortimentsgehilfe der Heckenhauerschen Buchhandlung) unter lauter Studenten. Hesse dichtete über diesen
Kreis: »Wir galten als dekadent und modern/Und glaubten es mit
Behagen/In Wirklichkeit waren wir junge Herren/Von höchst de-
zentem Betragen.« Vielleicht wurzelt hier bereits Hesses lebens-
lange Abneigung gegen jede zur Schau gestellte Avantgarde, jede
Extravaganz sowie alle Art von Gruppenbildung zu
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