Hetzer & Kruse 03 - Schattengift
Tür, da ging diese auf und verschluckte Marie-Sophie, ohne dass Wolf sehen konnte, wer sie hereingelassen hatte. Er war ausgestiegen und stand noch mitten auf der Straße, als irgendein Dorftrottel ohne Licht mit hoher Geschwindigkeit auf ihn zugerast kam. Nur mit einem Hechtsprung konnte er sich retten. Im Fallen versuchte er, das Kennzeichen zu entziffern, doch die Mauer des Hofes bremste seinen Sturz auf unsanfte Weise und es dauerte etliche Minuten, bis er wieder klar denken konnte. Das Horn auf seiner Stirn wuchs in den Himmel. So wenigstens fühlte es sich an. In seinem Schädel hämmerte es. Er hatte in jeder Hinsicht genug für heute. Der Tag war beschissen gewesen. Morgens schon dreckige Klamotten, dann hatte er sein Handy in der Waschmaschine versenkt. Arbeiten sollte er jetzt dort, wo er nicht sein wollte, und es sah so aus, als habe Marie-Sophie Schulze auch noch ein Stelldichein. Dabei hatte er selbst überlegt, ob er sie nicht mal zum Essen einladen sollte. Aber vielleicht tat er ihr auch unrecht. Sie konnte nach zweiundzwanzig Uhr durchaus noch zu einer Freundin gefahren sein. Obwohl das geschminkte Gesicht etwas anderes vermuten ließ. Den Gedanken, dass sie möglicherweise noch einem lukrativen Nebenjob nachging, verwarf er wieder.
Als er ins Auto stieg sah er, dass nicht nur seine Stirn etwas abbekommen hatte. Unter der zerrissenen Jeans zeigte sich in Höhe des Knies eine Schürfwunde; von der Jacke hing eine Tasche locker herab. Mehr konnte er im Dunklen nicht erkennen. Er fluchte und bereute es sofort, weil der Kopfschmerz dadurch schlimmer wurde. Jede Erschütterung trieb ihm während der Heimfahrt einen weiteren rostigen Nagel in den Kopf, und er wünschte sich nur eins: Sein Bett samt Decke, unter die er kriechen konnte, um sich selbst zu bemitleiden.
Schattentanz
Marie-Sophie ahnte von all dem nichts. Mit der Tür, die jetzt hinter ihr lag, hatte sie ihr normales Leben verlassen. Jetzt war sie einfach nur noch eine Frau, die Lust hatte. Auf ihn. Beinahe geräuschlos ließ sie ihren Mantel fallen. Der Mann holte tief Luft, denn darunter war sie nackt. Ohne ein Wort schob er sie vor sich die Treppe hinauf und genoss das Spiel der Schatten, das die Haut mit ihren Erhebungen und Senken, Spalten und Wölbungen für ihn im Zwielicht aufführte.
Sie duftete. Ein Hauch von Erwartung mischte sich in den der Lust und unterstrich ihr Parfüm, dessen Namen er nicht kannte. Süß und voll, wie die reife Frucht einer Sommernacht, lockte sie ihn, der schon bereit war, noch bevor sie die Treppe verlassen hatten.
Er streifte den störenden Stoff vom Körper und sah ihr zu, wie sie sich in den Ohrensessel sinken ließ. Spannung lag in dem Spagat, den sie vollführte, als sie die Unterschenkel auf die Lehnen des Möbels legte und den Weg in ihr Innerstes freigab. Das liebte er an ihr, ihre Schamlosigkeit, die Selbstverständlichkeit, mit der sie nackt war und ihre Lust auslebte. Dadurch unterschied sie sich von allen anderen Frauen, die er jemals besessen hatte.
Er kniete vor ihr und vergrub seinen Kopf in ihrem Schoß. Dort war es weich und warm. Wie von selbst bewegten sich Lippen und Zunge. Sie seufzte vor Genuss, als er in ihre Knospen kniff. Das machte sie scharf und gierig. Als sie begann, schneller zu atmen, hob er sie auf und trug sie aufs Bett. Es gab keine Richtung, in der sie sich nicht begegneten, kein Stückchen Haut, das berührt werden wollte und zu kurz kam.
Der Tanz der Körper endete nach Stunden in einem Schlussakkord, der einem Vulkanausbruch glich. Und seltsam war die Ruhe, die darauf folgte. Man lag gemeinsam und doch nicht zusammen. Der Akt war die einzige Verbindung. Nie hatte sie das stärker empfunden als heute.
„Ich werde nicht mehr kommen“, sagte sie.
„Ich weiß“, antwortete er. Ein Weißer im Körper eines Farbigen. Bewegungen so fließend wie Quellwasser.
„Leb wohl!“ Ihr zarter Kuss berührte ihn kaum. Sie ging die Treppe hinab und hob ihren Mantel vom Boden auf und zog ihn an. Die Verwandlung war perfekt. Sie vollzog sich mit dem Kleidungsstück. Plötzlich war sie nur irgendjemand, den er gekannt hatte.
„Wann kommt sie zurück aus Tansania?“
„In drei Tagen.“
„Zwei Jahre sind eine lange Zeit. Du solltest kein schlechtes Gewissen haben.“
„Und du solltest nicht vergessen, dass er dich gut versorgt.“
„Es ist alles gesagt“ Marie-Sophie nahm die Klinke in die Hand und wusste, dass sie dieses Haus nie wieder betreten würde. An diesem
Weitere Kostenlose Bücher