Hetzer & Kruse 03 - Schattengift
deinem Arm nehmen. Ich habe auch Frühstück mitgebracht.“
„Ja“, hauchte Marie heiser, „ich bin wach, aber unendlich müde.“
„Ich weiß. Du musst jetzt etwas essen, dann kannst du weiterschlafen. Ich habe dir Roastbeef auf den Toast gelegt. Das magst du doch gerne.“
„Danke!“ Marie-Sophie richtete sich vorsichtig auf und stöhnte wieder.
„Tut weh, nicht?“
„Ja.“
„Irgendwann erzählst du mir, wie das passiert ist!“
„Ja, später.“
„Sie suchen dich schon. Mich hat heute Nacht ein Kunze von der Bückeburger Polizei angerufen und nach dir gefragt. Ich habe – wie versprochen – nichts gesagt.“
„Gut, das ist wichtig, sonst war alles umsonst.“ Ihre Stimme krächzte.
„Was meinst du damit?“
„Später… Hast du was gegen Schmerzen?“, fragte sie, nachdem sie einen halben Toast geschafft hatte. Sie ließ sich wieder zurücksinken. Anna kniete neben ihr und streichelte ihr übers Haar.
„Zwei Paracetamol liegen auf deiner Untertasse.
Schlaf du lieber erst noch. Warte, ich stelle dir das Heizkissen wieder an.“ Im Liegen nippte Marie-Sophie an ihrer Kaffeetasse. Sie nahm die Tabletten mit dem letzten schon kalten Schluck.
„Danke!“
„Soll ich dir das kleine Licht anlassen?“ Marie-Sophie nickte und zog die Decke bis zum Kinn. Leise verließ Anna den Raum. Sie freute sich auf eine Dusche.
Die nächsten Tage
In den nächsten Tagen hatte Marie-Sophie viel geschlafen. Manchmal wechselte Anna die Verbände, ohne dass sie es überhaupt bemerkte. Ängstlich überwachte sie Maries Körpertemperatur. Sie hoffte, dass sich weder der Fuß noch die Hand so entzünden würden, dass sie ihr allein nicht mehr helfen konnte. Aber alles blieb im Normbereich. Der Atem ging ruhig, die Temperatur war zwar leicht erhöht, stieg aber nie richtig an.
Zuerst sah alles ganz gut aus. Der Fuß schwoll langsam ab, weil sie nicht mehr darauf herumlief und weil Anna ihn zusätzlich auf einem alten Wäschekorb hochgelagert hatte. Sie hatte beide Verletzungen, den Streif- und den Durchschuss mit Jodsalbe behandelt.
Bei der Hand war sie sich nicht sicher. Die Haut hätte über dem offenliegenden Knochenstück zusammengenäht, das Knochenende eventuell gekürzt werden müssen. Sie hatte sogar für einen Moment darüber nachgedacht, ob sie es selbst tun sollte. Oft genug hatte sie assistiert und so manche kleine Hautnaht übernommen. Hier entschied sie sich jedoch dagegen, weil sie nicht wissen konnte, ob sich der Bereich nicht doch noch infizieren würde. Vielleicht sollte sie Marie ohnehin ein Breitband-Antibiotikum geben. Sie zö gerte noch.
Mit Haut-Klebestreifen hatte sie die Hautlappen zueinander geführt und verschlossen. Sie waren glücklicherweise nicht ausgefranst. Es wäre ihr schwergefallen, die Wundränder ohne örtliche Betäubung zu be gradigen. Es bereitete ihrer Freundin auch so große Schmerzen, als sie die Stelle versorgte. Und sie war sich nicht sicher, ob hier nicht doch später ein Chirurg tätig werden musste, selbst wenn alles verheilte.
Noch immer hatte Marie-Sophie ihr nicht verraten, wie es zu diesem Unglück gekommen war, bei dem sie ihren kleinen Finger verloren hatte. Sie wollte einfach nicht darüber sprechen. Anna hatte es ein paar Mal versucht, aber sie winkte ab.
Am fünften Tag
Am Mittwoch hatte es bei ihr geklingelt. Sie hätten im Zuge der Ermittlungen noch ein paar Fragen, hatten die Kommissare gesagt.
Anna hatte sie freundlich hereingebeten und ihnen von Marie-Sophies misslicher Situation in der Praxis berichtet. Dass diese gemeine Ziege Anke sie den ganzen Tag schikaniert hatte, dass sie hinter Maries Rü cken schlecht über sie geredet hatte, dass sie ihr Fehler untergeschoben hatte, die sie selbst überhaupt nicht begangen hatte.
Anna erinnerte sich an die erstaunten Gesichter von Wolf Hetzer und dessen Kollegen Kruse.
„Sagen Sie, woher wissen Sie das alles so genau?“, fragte Hetzer.
„Wir sind schon seit Jahrzehnten befreundet und wissen alles voneinander. Mir hat es selbst wehgetan, wie Marie dort gelitten hat.“ In Annas Augen wurde es leicht feucht. „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schlimm das ist, wenn jemand am längeren Hebel sitzt und einem anderen schaden will. Ich habe da auch schon meine eigenen Erfahrungen gemacht.“
„Da gebe ich Ihnen recht“, sagte Hetzer, „hinterhältige Bosheit, gegen die man sich nicht wehren kann, gehört zu den schlimmsten Dingen, die Menschen einander antun können, von Mord und
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