Hetzer & Kruse 03 - Schattengift
hinein. Sie fand die Infusionsflaschen mit der Kochsalzlösung im Hängeschrank über der Spüle und entschloss sich, doch zwei zu nehmen, wobei sie die hinteren nach vorn rückte, damit es nicht so schnell auffiel. Aber wo zum Teufel war das Infusionsbesteck? Sie hatte bereits die Hälfte der Schubladen durchwühlt, bis sie endlich alles hatte, was sie brauchte. Zur Vorsicht nahm sie noch Verbandsmaterial mit. Dann schlich sie zum Ausgang und verließ die Praxis so leise wie sie gekommen war.
Als sie wieder in Vehlen war, zitterte sie immer noch.
Jetzt brach sie schon in Arztpraxen ein und das nur, weil sie ihrer Freundin helfen wollte. Sie fuhr den Wagen in die Garage und ging auf schnellstem Weg wieder in den Keller. Marie-Sophie war in keinem guten Zustand. Das Gesicht zeigte eine fast leichen ähnliche Blässe. Sie war in einen Erschöpfungsschlaf gefallen, der ihre Muskelspannung kaum mehr aufrechterhalten konnte. Für einen Moment fürchtete Anna, sie könne zu spät gekommen sein. Doch dann sah sie, dass sich die Brust hob und senkte. Die Infu sion war durch. Ein feiner roter Faden schob sich den Schlauch empor. Anna bereitete eine neue vor so schnell sie konnte und tauschte sie aus. Als es wieder im Rhythmus zu tropfen begann, atmete sie auf. Das Wichtigste war geschafft. Nun konnte sie ruhiger vorgehen. Kritisch betrachtete sie den Verband. Ja, er war wieder weitgehend durchgeblutet, aber es hatte sich weder eine Pfütze gebildet noch sah es so aus, als ob dies zu erwarten wäre. Sie entschloss sich, die Binde auf der Hand zu belassen. Möglicherweise hätte sie die beginnende Stagnierung der Blutung gestört. Es war besser, den Verband im Auge zu behalten.
Vorsichtig befühlte sie Marie-Sophies Stirn. Sie war kühl. Der gesamte Körper schien Untertemperatur zu haben. Anna fasste einen Entschluss. Aus dem Schlafzimmerschrank holte sie ein Heizkissen und füllte eine Wärmflasche mit heißem Wasser. Während sich das Wasser erwärmte, zog sie sich ihren Schlafanzug wieder an. Es war entscheidend, dass Marie nicht noch weiter auskühlte. Sie nahm ihre Kamelhaardecke in den einen Arm, Heikzissen und Wärmflasche in den anderen. Dann fluchte sie. Es hatte keinen Zweck. Sie würde zweimal gehen müssen. So kam sie unmöglich durch die Kellertür. Nachdem sie Marie-Sophie versorgt hatte, ging sie zurück und holte ihre Decke. Die breitete sie über die ihrer Freundin aus und schlüpfte selbst mit unter den doppelten Schutz. Es war tatsächlich etwas hart auf der ausgemusterten Matratze. Sie war froh, dass sie immerhin eine Isomatte darauf gelegt hatte. So kroch die Feuchtigkeit des Kellerbodens nicht in jeden Winkel ihrer Haut. Marie-Sophie fühlte sich an wie ein Fisch oder wie eine Leiche, dachte sie erschreckt und ahnte, dass der Grat zwischen hier und dort vermutlich dünn war.
Erst nach einiger Zeit hatte sie den Eindruck, als ob ein bisschen warmes Leben in ihre Freundin zurückkehrte. Der Verband hatte gehalten und färbte sich langsam ins bräunliche. Sie schloss die Augen und war viel zu müde, das Licht zu löschen, obwohl es durch ihre Lider drang. Sie lauschte dem Atem der Frau neben ihr und dem Tropfen der Infusion. Der Liter würde einige Zeit brauchen, bis er durchgelaufen war.
Das war das Letzte, was sie dachte, bevor sie erschöpft in den Schlaf fiel.
Das Schlimmste
Als Anna wieder erwachte, lauschte sie in die Dunkelheit. Angst war im Raum. Das Tropfen hatte aufgehört.
Nur ganz leise konnte sie den Atem ihrer Freundin hören. Vorsichtig berührte sie deren Körper. Marie-Sophie stöhnte.
„Schlaf weiter!“, flüsterte sie und war froh, dass das Schlimmste überstanden schien.
Schnell stand sie auf und schlich sich aus dem Gewölbe in den Keller.
Erst dort machte sie Licht und zog ihren Bademantel über.
Als sie in der Küche auf die Uhr sah, wunderte sie sich, dass es schon fast neun Uhr war.
Die Dunkelheit im fensterlosen Raum und die Erschöpfung hatten sie länger als gewöhnlich schlafen lassen.
Sie setzte Kaffee auf und bereitete ein Tablett vor. Es war besser, wenn Marie-Sophie erst einmal liegen blieb. Sie konnte schlecht einschätzen, ob sich der Kreislauf schon stabilisiert hatte.
Kurze Zeit später kehrte sie in den Raum zurück und schaltete die kleine Nachttischlampe an, die sie extra hierher gebracht hatte. Im diffusen Licht sah sie an dem dünnen Blutfaden, dass die Infusion abgenommen werden musste.
„Marie“, flüsterte sie, „lass mich eben die Nadel aus
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