Hetzer & Kruse 03 - Schattengift
Totschlag und körperlicher Folter einmal abgesehen. Aber es hat schon was von seelischer Misshandlung.“
„Sie ging nur noch mit einem Kloß im Hals zur Arbeit. Sie war sich nie sicher, wann das nächste Attentat erfolgte. Zum Schluss wusste sie nicht einmal, ob diese gelegentlichen Magen- und Darmgrippen nicht auch darauf zurückzuführen waren, dass Anke ihr etwas ins Essen mischte.“
„Gab es dafür Beweise?“, fragte Hetzer und dachte an das Cumarin-Derivat in Marie-Sophies Blut. Möglicherweise hatten sie selbst den einzig verwertbaren.
„Nein, sie konnte nichts beweisen, aber ich weiß, dass sie Angst hatte. Zuletzt hatte sie begonnen, immer nur noch kleine, verschlossene Portionen mitzunehmen, bei denen es aufgefallen wäre, wenn man sie manipuliert hätte.“
„Krass, dass es jemand so weit kommen lässt.“ Er dachte daran, wie gerne er aß und dass er sich von niemandem in seinem Essen würde herumpanschen lassen. „Warum hat sie sich nicht gewehrt und ihren Chef eingeschaltet? Das verstehe ich nicht.“
„Hmm, sie hat mal vorsichtige Andeutungen gemacht, das erzählte sie mir, aber er ist nicht darauf eingegangen. Und sie hat sich nicht getraut, wirklich etwas zu sagen. Wissen Sie, Dr. Wiebking duzt sich mit dieser Frau Tatge schon seit Jahren. Marie meinte auch, dass da irgendwie ein ganz besonderes Verhältnis existierte.“
Hetzer und Kruse wurden hellhörig.
„Meinen Sie, die hatten was miteinander?“, fragte Kruse.
„Das weiß ich nicht und da war sich auch Marie wohl nicht ganz sicher. Sie war nur davon überzeugt, dass es irgendeine Verbindung geben müsse, weil Dr. Wiebking so betriebsblind gewesen sei.“
„Möglicherweise“, warf Hetzer ein, „gab es da auch einen ganz anderen Grund, warum er sie geschützt und bevorzugt behandelt hat. Vielleicht ist sie eine Mitwisserin. Es könnte doch sein, dass sie von irgendeinem medizinischen Fehler wusste oder dass er eventuell die Kassenärztliche Vereinigung bei der Abrechnung beschissen hat.“
„Meinen Sie? Sicher, auch so was wäre möglich. Für Marie-Sophie war es egal, da war es nur entscheidend, dass sie dieser Situation ohnmächtig ausgesetzt war.“
„Sie hätte sich auch eine andere Stelle suchen können!“, meinte Peter Kruse.
„Das ist heutzutage auch nicht so einfach, vor allem nicht, wenn man auf die vierzig zugeht“, gab Anna Ebeling zu bedenken.
„Da haben Sie natürlich recht!“, sagte Hetzer und fügte hinzu: „So, dann wollen wir erst mal wieder. Sie haben noch immer nichts von Ihrer Freundin gehört, oder? Kein Lebenszeichen, keine Nachricht?“
„Nein, leider nicht“, sagte Anna bedauernd, „und Sie können mir glauben, dass ich mir wahnsinnige Sorgen um sie mache, vor allem jetzt, wo auch noch ihr Mann verstorben ist. Ich habe die Anzeige in der Zeitung gelesen. Was ist denn mit ihm passiert?“
„Er hatte einen Autounfall“, antwortete Peter.
„Falls sie sich melden sollte, geben Sie uns bitte sofort Bescheid?“
„Ja, natürlich. Glauben Sie denn, ihr sei etwas geschehen?“
„Das ist sehr wahrscheinlich“, sagte Hetzer melancholisch und verabschiedete sich.
„Warten Sie“, rief Anna ihm hinterher, „was ist denn eigentlich aus Maries Hündin geworden?“
„Machen Sie sich keine Sorgen“, antwortete Hetzer und schloss das Auto auf, „sie ist bei meiner Nachbarin zur Pflege.“
Anna nickte und war beruhigt.
An den Tagen sechs bis zwölf
In Marie-Sophies Gegenwart hatte Anna kein Wort darüber verloren, dass sie Witwe geworden war. Sie wusste nicht, wie sie es ihrer Freundin sagen sollte.
Auch wollte sie den Heilungsprozess nicht durch weiteren Stress gefährden. Es sah jetzt tatsächlich so aus, als würde die Amputation gut verheilen.
Inzwischen war Marie-Sophie von Zeit zu Zeit auf.
Sie konnte sogar schon wieder ein bisschen lächeln.
Das konnte Anna doch nicht kaputt machen.
Nur die versehrte Hand wollte sie nicht sehen. Das Erlebte musste zu schlimm gewesen sein. Während Anna die vier Finger und den Stumpf verband, schaute Marie-Sophie zur Seite.
„Wenn alles ganz trocken verheilt ist, müssen wir die Hand waschen“, sagte Anna behutsam.
„Sieht es sehr schlimm aus?“
„Eigentlich nicht, Marie. Willst du nicht doch mal hinsehen? Oder du wartest besser, bis es nicht mehr so blutverschmiert ist, aber ich möchte noch kein Wasser an die Wunde lassen.“
Marie nickte. „Komisch“, sagte sie, „bei anderen macht es mir nichts aus, aber mein Blut kann ich
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