Hetzer & Kruse 03 - Schattengift
schlecht sehen.“
„Ich glaube, das ist normal“, erwiderte Anna.
„Meinst du, ich kann dich heute mal für zwei Stunden ganz alleine lassen? Ich wollte zum Friseur. Ist hier direkt schräg gegenüber.“
„Sicher, kein Problem. Ich komme doch jetzt schon ganz gut zurecht.“
„Sag mal, wie lange wollen wir denn dieses Versteckspiel noch aufrechterhalten? Die Kommissare suchen immer noch nach dir. Sie glauben, dir sei etwas zugestoßen. Sie haben mich auch nach deinem Verhältnis zu Anke Tatge gefragt. Ich glaube, dein Plan geht auf.“
„Na, das ist doch wunderbar. Jetzt kommt alles ans Licht. Genauso, wie wir das wollten.“
„Schon, aber meinst du nicht, dass du dein Ziel erreicht hast? Sie scheinen sie doch zu verdächtigen, oder sind auf dem besten Weg dazu. Ich habe das Feuer noch geschürt, indem ich erwähnt habe, dass sie ein besonderes Verhältnis zu deinem Chef hat.“
„Das war gut. Jetzt werden sie sie in die Mangel nehmen. Das geschieht ihr recht. Ich habe so lange gelitten. Und frag nicht wie!“
Dass Marie-Sophie noch etwas ganz anderes vorhatte, ahnte Anna nicht. Sie ging in aller Seelenruhe zum Friseur und bemerkte nicht, dass Marie eine alte Jacke nahm, die sie im Keller fand und in Annas Küche schlich. Ihren Finger, den sie oben auf dem alten Kellerregal hatte trocknen lassen, legte sie auf ein Holzbrett.
Er sah irgendwie aus, als hätte er niemals zu ihr gehört.
Ein bisschen wie Dörrfleisch mit rostroten Sprenkeln, fand sie. Ganz durchgetrocknet schien er noch nicht zu sein, stellte sie fest, als sie mit dem Küchenmesser das unterste Stück abtrennte, wo er unschön eingeschrumpelt war, aber er roch kaum. Messer und Brett wusch sie sorgfältig ab und warf das kleine Stück ihrer selbst in den Biomüll. Den Finger selbst steckte sie in einen braunen Umschlag und klebte ihn zu.
Anschließend holte sie sich Annas Autoschlüssel aus der Schublade und fuhr mit dem Wagen in Richtung Bückeburg. Auf dem Sitz neben ihr lag noch eine von Annas alten Brillen. Wenn sie gleich die Kapuze aufsetzte und dieses Nasenfahrrad aufsetzte, mit dem man aussah wie Puck die Stubenfliege, würde sie niemand erkennen können.
Sie parkte ein Stück abseits in der oberen Ulmenallee auf dem Parkplatz der Grundschule. Die Kapuze zog sie ins Gesicht, dann nahm sie den Umschlag in die Hand und ging in Richtung Polizeiwache. Kurz bevor sie die Treppe erreichte, setzte sie Annas Brille auf und wunderte sich, dass sie fast nichts mehr sehen konnte.
Wie blind musste ihre Freundin sein?
Es waren nur wenige Sekunden, die sie brauchte, um den Umschlag wie nebenbei aus der rechten Hand gleiten zu lassen und die Treppe wieder hinabzugehen. Ja nicht zu schnell, das hätte Aufsehen erregt, eher wie jemand, der sich geirrt hatte. Ihr war klar, dass später auf einer Aufnahme zu sehen sein würde, dass eine dunkel gekleidete Person mit Brille vor der Tür gewesen war, aber sie würde nicht zu erkennen sein.
In gemäßigtem Tempo schlenderte sie zu Annas Wagen und fuhr über Ahnsen nach Vehlen zurück. Sie wusste nicht, ob eine der Außenkameras der Polizeiwache zur Straße hin aufnahm. Annas Auto durfte nirgendwo auftauchen.
Unbemerkt stellte sie den Wagen wieder in die Garage und brachte alles andere an seinen Platz zurück.
Jetzt, so dachte sie bei sich, wäre ein warmes Bad wie eine Erlösung. Draußen hatte es wieder zu regnen begonnen. Ihr blieb noch gut eine Stunde.
In Annas Badezimmer fand sie eine köstliche Essenz, die nach Mandarine und Orange duftete. Die ließ sie ins laufende Wasser fließen. Sie genoss es, wie sich Wärme und wohliger Duft im Raum ausbreiteten.
Ein bisschen zögerte sie noch. Gleich würde der Moment der Wahrheit kommen und sie wollte ihn allein durchstehen. Zuerst zog sie ihre Kleider aus. Dann stand sie da, nackt, nur mit einem Verband an der linken Hand. Sie lenkte sich selbst ab, indem sie auf ihren Fuß schaute. Hier war schon fast nichts mehr zu sehen außer einer runden Stelle mit einer Vertiefung in der Mitte und einem Strich am Knöchel.
Es war unklug, zu lange im Raum zu stehen und kalt zu werden. Obwohl es warm im Bad war, fing sie so nackt und bloß an zu zittern. Vielleicht auch, weil sie Angst hatte. Dann fasste sie sich ein Herz und wickelte die Binde ab. Die ganze Hand war noch mit Blut verschmiert und je tiefer sie kam, umso langsamer wurden ihre Bewegungen. Dann war er da, der Moment. Wie gebannt starrte sie auf die Stelle, an der eigentlich ihr kleiner
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