Heuchler
stand sie auf und zog sich ihre Schuhe an. Dann verließ sie das Haus über die Terrassentür, ging vor bis zur Böschung und warf einen vorsichtigen Blick zum See hinunter. Felix und ihre Mutter ließen sich gerade ein gutes Stück vom Ufer entfernt dahintreiben. Da Katja sich sicher war, dass ihr Vater die beiden nicht aus den Augen lassen würde, rannte sie erst zurück zum Haus und dann weiter den Weg entlang bis zum Waldrand. Inzwischen kannte sie die Stellen, an denen man zumindest ein bisschen Handyempfang hatte und tatsächlich erschienen zwei Balken der Anzeige. Die erste Nachricht, welche »Ich liebe dich und ich glaube dir!« lautete, tippte sie eilig, da sie nicht wusste, wie lange der Akku noch halten würde. Dann musste sie warten und wurde immer unruhiger. Alle paar Sekunden wechselte der Blick zwischen dem Handy und dem Garten des Hauses. Doch es dauerte nur kurze Zeit, bis ihr Display aufleuchtete und sie mit zittrigen Fingern auf ANZEIGEN drückte, worauf Sjörens Nachricht erschien. Katjas Magen verkrampfte sich, als sie die Worte las. Auf dem Display stand: »Danke, dass du mir vertraust! Ich war es nicht und ich vermisse dich ganz schrecklich.« Der weinende Smiley hinter den Buchstaben tat sein Übriges und eine Träne lief über ihr Gesicht. Dann tippte sie: »Ich sehne mich nach deinen Armen. Mein Vater ist so ein Idiot!« Der Batteriewarnton erklang und sie schaffte es gerade noch »Akku leer, ich melde mich« einzutippen und abzuschicken, dann schaltete sich das Gerät ab und Katja ging langsam und immer noch weinend zurück zum Haus.
Offenbar hatte niemand ihren Ausflug bemerkt, denn die Terrassentür war immer noch geschlossen und auch im Wohnraum war niemand zu sehen. Sie ging zuerst ins Bad, um sich das Gesicht abzuwaschen und danach wieder in ihr Zimmer, wo sie ihr Vater bereits erwartete.
Der blechern klingende Hinweiston wurde fast von den groben Felswänden verschluckt, riss IHN aber trotzdem aus dem Halbschlaf. Der Dämon hatte ihm gerade noch sagen können, was zu tun sei, bevor die Gedanken in sich zusammenbrachen. Trotz der wieder aufkommenden Magenschmerzen schaffte er es schnell auf die Beine und war mit zwei Schritten an seinem Laptop. Die Jugendlichen machten es ihm einfach! Etliche der zahlreich am Handy installierten Programme meldeten sich sofort, wenn ein Gerät wieder Empfang hatte. Nach zwei schnellen Mausklicks startete das FishingProgramm und kurz darauf erschien der Text von drei Kurznachrichten auf seinem Bildschirm. Der kurze Triumph über die Technik wich schnell der Erkenntnis, dass man diesen jungen Menschen nicht mehr die Augen öffnen konnte. Selbst in diesem jugendlichen Alter waren sie schon durch und durch von der vorgespielten Liebe ihrer Eltern verdorben. Wieder einmal wurde ihm bewusst, dass die einzige Lösung darin lag, sie zu erlösen. Sollten die Eltern ruhig erst sehen, was sie verbrochen hatten, bevor auch sie ihre gerechte Strafe erhielten.
Da er gerade keinen Kaffee hatte und auch das Feuer nicht brannte, griff er nach seinem Notmittel. Schon nach zwei Zügen hatte die Zigarre genug Glut, um ihm etwas Entspannung zu verschaffen. Der Geruch verbrannter Haut verflog so schnell, wie er entstanden war, und anschließend war er klar genug, um die weiteren Schritte einzuleiten.
Das Handysignal des Mädchens erlosch so schnell, wie es gekommen war, aber das des Jungen blieb. Er tippte einige wenige Worte in die Tastatur, drückte auf SENDEN und wartete. Wie nicht anders als zu erwarten, erhielt er nur wenige Augenblicke später eine positive Antwort auf seine Frage. Dann schickte er noch einen weiteren Hinweis auf den leeren Akku hinterher und trennte die Verbindung. Der Dämon in ihm klatschte Applaus.
»Wo kommst du her?«, fragte Mike scharf, und Katja antwortete zickig: »Ich war spazieren.« Er wollte schon zu neuerlichen Vorwürfen ansetzen, besann sich dann aber darauf, dass er auf diese Weise nicht wirklich weiterkam. Mit möglichst ruhiger Stimme fragte er daher: »Hast du ihn angerufen?« Sie zog ihr Handy aus der Tasche und hielt es ihm unter die Nase: »Habe ich nicht, es ist leer!« Mike atmete einmal tief durch und suchte nach den richtigen Worten: »Verstehst du mich denn überhaupt nicht? Du weißt doch, wie sich solche Sachen im Netz verbreiten und ich will nicht, dass du wegen diesem Jungen zum Gespött wirst.« Offensichtlich hatten seine Worte genau das Gegenteil von dem erzielt, was er sich erhofft hatte. Seine Tochter lief rot an
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