Heuchler
auf die Terrasse, um eine Zigarette zu rauchen. Die Sucht hatte ihn, seit dem Einsatz mit Peter, wieder voll im Griff und, wie vor seiner Abstinenz, brauchte er jetzt wieder seine zwanzig Zigaretten am Tag. In den ersten Tagen hatte er sich noch für sich selbst geschämt, aber inzwischen war er mit sich selbst im Reinen. Er hatte immer gerne geraucht und war nie wirklich glücklich ohne gewesen. Es gehörte einfach zu ihm und so würde es jetzt auch bleiben! Fröstelnd zog er den Reißverschluss der dünnen Jacke zu und sah zum Himmel. Er mochte dieses Wetter nicht! Eine lückenlose Wolkendecke schien sich auf den Himmel gelegt zu haben und nichts deutete auf eine Veränderung hin. Nicht die kleinste Brise regte sich und wieder sah der See aus, als habe man einen Spiegel in das Tal eingepasst. Wieder zog er an seiner Zigarette, und während er den Rauch wieder ausstieß, ließ er seinen Blick über das Tal wandern. Nur Natur konnte so friedvoll sein! In keiner Stadt der Welt gab es jemals eine solche Atmosphäre, wie sie die Natur hervorbrachte. Der Wald stand in demütiger Stille da und wartete geduldig, bis das erste Licht des Tages ihn erreichte. Die nachtaktiven Tiere verschwanden jetzt langsam in ihren Unterschlupf und machten den tagaktiven Platz, um den Wald wieder mit Leben zu füllen. Der Morgen war die Zeit des Wechsels und schuf damit eine ganz besondere Stimmung. Mike dachte an Nürnberg, wo sich um diese Zeit der Berufsverkehr durch die Straßen quälte und alles und jeden vereinnahmte. Stinkende Autos, hektische Menschen und vermutlich auch wieder neue Verbrechen, die erst der neue Tag ans Licht brachte.
Den Gedanken ihren Lauf lassend, rauchte er zu Ende und wollte gerade wieder ins Haus gehen, um sich noch etwas zu seiner Frau ins Bett zu legen, als ein kleines, blinkendes Licht seine Aufmerksamkeit erregte. Konzentriert starrte er zum anderen Seeufer, wo sich die Straße entlang des Hanges schlängelte und tatsächlich, er hatte sich nicht getäuscht. Zwei größere Limousinen fuhren mit blinkenden Blaulichtern und hoher Geschwindigkeit in Richtung Tonstad.
Mike seufzte innerlich. Nicht einmal in dieser traumhaften Umgebung konnte man auf die Polizei verzichten. Die beiden Autos verschwanden und Mike ging zurück ins Haus.
»Papa, was machen die da?« Zwei Stunden später spielte Felix im Garten mit dem ferngesteuerten Auto, das er sich beim letzten Einkauf erbettelt hatte.
»Papa?« Ein Blick zur Terrasse zeigte, dass sein Vater offensichtlich wieder hineingegangen war. Ihn selbst störte der leichte Regen nicht sonderlich und auch der kleine Geländewagen schien die Nässe auszuhalten. Allerdings war es nicht der Wagen, weshalb er seinen Vater gerufen hatte, sondern zwei Boote mit einem kleinen Außenbordmotor, die unweit ihres Badestrandes etwas zu suchen schienen.
Mike hatte seinen Sohn gehört und steckte den Kopf aus der Tür: »Was ist denn los?«
»Schau mal, die Männer!«, rief Felix über die Schulter und deutete auf das Wasser. Mike runzelte die Stirn und trat in den Garten hinaus, musste aber bis zu seinem Sohn laufen, um den Randbereich des Sees einsehen zu können. Ein Blick genügte, dann wusste Mike, dass es sich um einen Polizeieinsatz handelte und ihm fielen die beiden Fahrzeuge von heute Morgen wieder ein. Zu seinem Sohn sagte er beruhigend: »Vielleicht wird jemand vermisst. Es ist bestimmt nichts Schlimmes!«
»Kann ich vor bis zum Ufer und ihnen zusehen?«, fragte Felix und Mike wollte spontan nein sagen. Doch dann antwortete er: »Aber nur bis zum Rand der Böschung und du läufst auf keinen Fall bis nach hinten zum Strand!« Erstens hatte Mike den alten Björn immer noch nicht gesprochen und zweitens war offensichtlich irgendetwas passiert. Die Polizei war nicht ohne Grund hier und er wollte nicht, dass sein Sohn irgendetwas Schlimmes aus der Nähe zu sehen bekam.
»Ist gut!«, rief Felix und war schon auf halbem Weg zum See.
Mike ging wieder hinein. »Ist irgendetwas passiert?«, fragte Petra, als sie seinen kritischen Gesichtsausdruck sah. Er stellte sich zu ihr in die Küche und erzählte von den Polizeiautos am Morgen und den Booten unten am Ufer. Als er geendet hatte, sagte sie mit einem Schaudern in der Stimme: »Meinst du, da ist jemand ertrunken?« Dann überlegte sie einen kurzen Augenblick. »Wenn die den nicht finden, kann ich nicht mehr in den See gehen. Alleine die Vorstellung …« Sie brach ab und schüttelte sich. Mike lächelte und nahm sie in den Arm:
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