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Heurigenpassion

Heurigenpassion

Titel: Heurigenpassion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Emme
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heute zu beginnen.
    Sie liebte es, die an solchen Tagen fast immer menschenleere Kanzlei ganz für sich zu haben und in völliger Ruhe ihren sicher wieder voll bepackten Schreibtisch wegarbeiten zu können.
    Als erstes setzte sie ihre Espressomaschine in Gang, dann holte sie die kleine kupferne Gießkanne, füllte sie mit Wasser und begann, die zahlreichen Grünpflanzen in ihrem Büro zu gießen. Seit sie einmal gehört hatte, dass sich das Sprechen mit den Pflanzen positiv auf ihr Gedeihen auswirken sollte, sprach sie oft und gerne mit ihnen. Auch jetzt ließ sie sich wieder auf ein kleines Schwatzerl mit ihren Freunden aus der Flora ein. Wie immer ignorierte sie aber auch heute wieder den ficus elastica, den sie einfach nicht mochte. Er war ein Geschenk ihres Mannes, mit dem sie sich nur im unbedingt notwendigen Ausmaß abgab. Indem sie ihn nicht verdursten ließ.
    Jetzt war auch die Maschine betriebsbereit. Sie ließ den ersten Espresso durchlaufen und schüttete ihn gleich wieder weg. Aus dem in den Leitungen abgestandenem Wasser ließ sich halt kein guter Kaffee machen. Aber schon die zweite Tasse war eine Sünde wert. Annemarie Sumser war eine echte »Kaffeetante« und bekannte sich auch dazu.
    Womit sollte sie beginnen? Zum Einlesen sollte sie sich vielleicht etwas nicht zu Kompliziertes vornehmen, um ihre Gehirnzellen schonend auf Betriebstemperatur zu bringen. Vielleicht ein Blick in die aktuelle Ausgabe der Entscheidungssammlung oder eher doch die eingegangene Post der letzten Woche. Sie entschied sich für die Post, aber außer einigen der üblichen Werbesendungen und einer Einladung zum Juristenball war nichts gekommen. Als nächstes holte sie sich die Post, die auf Grund einer in einem Konkursverfahren verhängten Postsperre bei ihr als Masseverwalterin landete. Diese Post wurde sonst immer von ihrer Assistentin Jolanda vorselektiert, um sie nicht mit dem ganzen Schrott einer ›direct mail‹ versessenen Wirtschaft zu belästigen. Annemarie fand es aber ganz lustig, sich einmal den gesamten Eingang anzusehen. Wer wusste schon, ob und welche Rückschlüsse auf den Schuldner sich aus Art und Umfang des ihm zugehenden Werbematerials ziehen ließen.
    Diesmal ging es um einen interessanten Privatkonkurs. Bei dem ihr vom Bezirksgericht Döbling zugewiesenen »Kunden« handelte es sich um Heribert Marinov, dem zweiten Mann der Witwe des Industriellen G.W. Wondrak. Der hatte seiner Frau mit fünfzehn Kaufhäusern in Bestlagen und dem »Wondrak Versand International« ein gewaltiges Handelsimperium hinterlassen.
    Marinov war um einige Jahre jünger als seine Frau und hatte bis Ende September des Vorjahres eine zeitweise recht erfolgreiche Finanz- und Vermögensberatung, die »FSA-Finance Service Austria« als Einzelfirma betrieben . Dank der hervorragenden Kontakte Ingrid Marinov-Wondraks hatte er beste Beziehungen sowohl zum Finanzsektor als auch zur betuchten Klientel. Und diese Beziehungen auch voll genutzt. Mehr als voll, wie einige Insider meinten.
    Nach einigen riskanten Geschäften und einem spektakulären Betrugsfall durch einen »Partner«, der sich unbekannten Aufenthaltes abgesetzt hatte, musste sich Marinov mit 1.3 Mio. Euro Überschuldung schließlich als zahlungsunfähig erklären.
    Der beim Handelsgericht eingereichte Konkursantrag war mangels Masse abgelehnt worden. Eine Anzeige wegen betrügerischer Krida wurde aus Mangel an Beweisen von der Staatsanwaltschaft zurückgelegt.
    Nachdem Marinov auf Grund einer früher erworbenen Anwartschaft sechs Monate Arbeitslosengeld bezogen hatte, war er nun für ein Gehalt von netto 1.432,87 Euro als Chauffeur beim Versandhandel seiner Frau beschäftigt. Außer dem nicht pfändbaren Anteil dieses Gehaltes, das waren knapp mehr als 600 Euro im Monat, war der Pleitier nach eigenen Angaben mittellos.
    Wie schön, dass Marinov in der Villa seiner Frau leben, mit ihrem Mercedes Coupé 500 zum »Arbeitsmarktservice« fahren und sie im Urlaub in das traumhafte Ferienhaus in der Nähe von Positano begleiten durfte, dachte Dr. Sumser nicht ohne Ironie. Oder auch zur herbstlichen Kunstauktion bei Sotheby‘s in London.
    Annemarie Sumser konnte sich nicht vorstellen, wie es dem Mann gelungen war, so viele voll im Geschäftsleben stehende Menschen dazu zu bringen, ihm ihr Geld anzuvertrauen. Sehr viel Geld.
    Sie erinnerte sich gut, wie der Mittdreißiger wenige Tage vor Weihnachten bei ihr gesessen und Auskunft auf ihre Fragen gegeben hatte. Er war der Typ des »groß

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