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Heurigenpassion

Heurigenpassion

Titel: Heurigenpassion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Emme
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gewordenen Buben«, der noch immer wie ein Zwanzigjähriger aussah, allerdings mit bereits leicht ergrauten Schläfen. Schüchtern, bescheiden und beinahe unsicher wirkend hätte sie ihm eher 5 Euro für ein Eis geschenkt als ihm auch nur 100 Euro zur Veranlagung anzuvertrauen. Aber vielleicht war er auch ein »Chamäleon«, einer dieser Menschen, die immer die für sie günstigste Farbe anlegten.
    Aber er hatte das gewisse Etwas. Nicht unbedingt schön, aber attraktiv und sympathisch. Sie konnte gut verstehen, warum ihn seine Frau in ihr Bett gelassen hatte.
    Anfang November hatte er Privatkonkurs beantragt und einen Zahlungsplan vorgelegt, mit dem er nach sieben Jahren eine 10-prozentige Quote an die vor allem aus Banken und dem Finanzamt bestehenden Gläubiger leisten wollte. Seine Ingrid hatte eine Garantieerklärung über den entsprechenden Betrag beigesteuert.
    Aber Annemarie Sumser hatte so ein Gefühl. Und da sie aus Erfahrung wusste, dass sie neben ihrem Juristenverstand durchaus auch ihrem Bauch vertrauen durfte, war sie fast sicher, dass dieser charmante Unschuldsengel irgendwo Vermögen hatte. Ein Nummernkonto in der Schweiz, vielleicht irgendwo ein Bestand an leicht transportierbaren Industriediamanten oder ein von Strohmännern angekauftes Immobilienreich in Südamerika. Im Moment wusste sie aber noch nicht, wie sie ihren Verdacht beweisen sollte.
    Sie blickte auf den Packen Post mit dem Vermerk »Marinov« und war gespannt, was sie finden würde. Eine Einladung zur Probefahrt mit dem neuesten Modell der Marke X, das Angebot für die Platinkarte Y und die Einladung zum Kongress des IFC, der Vereinigung der »International Finance Consultants« in San Francisco im Mai des Jahres. Daraus würde wohl nichts werden. Dann noch die aktuelle Ausgabe der »Börsen-Messages«, die Ankündigung eines Marktforschungsinstitutes, ihn zum Thema »Sparbuch oder Aktien – Wege zur Kapitalbildung« interviewen zu wollen und eine Mahnung der Katholischen Kirche, die noch immer den Eingang von 144 Euro Kirchenbeitrag vermisste.
    Sieh an, ein weiterer Gläubiger. Dr. Sumser freute sich ehrlich, doch noch etwas Konkursrelevantes entdeckt zu haben.
    Jetzt lagen da noch das Kuvert einer Bank, eines der Art, mit der die Kontoauszüge verschickt wurden und ein, wie die Optik erkennen ließ, privater Brief. Allerdings ohne Absender.
    Bei der »Cosmos-Bank« hatte Marinov tatsächlich ein Guthaben von 14,28 Euro. Damit würde das Kraut auch nicht fetter werden. Abgesehen davon wusste sie von diesem Konto, auf das der unpfändbare Teil von Marinovs Gehalt überwiesen wurde.
    Jetzt blieb also nur mehr der Brief. Annemarie schnüffelte vorsichtig daran. Also um einen Liebesbrief handelte es sich offenbar nicht, Liebesbriefe rochen anders. Sie hatte zwar schon lange keinen mehr bekommen, konnte sich aber noch gut erinnern. Sie war froh darüber, denn es war ihr ziemlich peinlich, die intimsten Gedanken eines liebenden Menschen nach verräterischen Angaben durchforsten zu müssen. Vorsichtig öffnete die Anwältin den neutralen Umschlag, nahm ein zweifach gefaltetes Blatt heraus und entfaltete es.
    Im ersten Augenblick fühlte sich Annemarie Sumser wie aus einem wunderschönen Traum in eine böse, brutale und gemeine Realität gezerrt. Dabei musste eigentlich, was sie vor sich sah, ein Traum sein. Der schlimmste Albtraum, den sie sich im Augenblick vorstellen konnte.

     
    HALLO MISTKERL
    WENN DU AMELIE NOCH EINMAL LEBEND
    SEHEN WILLST, DANN LASS AM FREITAG
    250.000 EURO RÜBERWACHSEN. UND KEI-
    NEN CENT WENIGER.
    ALLES NÄHERE FOLGT.
    UND KEINE POLIZEI, SONST ...

     
    Der in erstaunlich ungelenker Blockschrift verfassten Botschaft war ein Sofortbild beigefügt, auf dem eine vielleicht 20 – 25 jährige Frau zu sehen war. Eine Frau, deren Augen verbunden waren und die eine weiße Tafel mit der Aufschrift »Hilf mir« in Händen hielt.
    Nach einigen Schrecksekunden meldete sich Dr. Sumsers bewährter Verstand und forderte hartnäckig, auf der Stelle die Polizei zu verständigen. Dagegen sprach sich aber sofort ihr nicht weniger profilierter Bauch mit einem nicht von der Hand zu weisenden »Nur nicht hudeln, erst einmal nachdenken. Porzellan war rasch zerschlagen und nur schwer wieder zu kitten« aus und spielte den Ball damit wieder zurück zum Kopf.
    Dankbar für die so gewonnene Zeit ließ sie sich einige Szenarien durch den Kopf gehen. War das vielleicht nur ein bislang ihres Wissens nach noch nie beschrittener Weg eines

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