Heurigenpassion
wieder im Wagen. Er war Wilma und den beiden Kindern sehr dankbar, dass sie auf ihn gewartet hatten. Er fühlte sich müde, elend und erfolglos.
»Du bist unzufrieden, dass dieses Baby nicht das war, das Ihr eigentlich gesucht habt«, sagte ihm Wilma auf den Kopf zu.
»Wir haben den ganzen Tag gesucht wie die Verrückten und das Kind ist wie vom Boden verschluckt«, kam es stockend aus ihm heraus. »Und wir waren erfolglos. Wir sind unserem eigentlichen Ziel keinen Schritt näher gekommen .«
»Also die Gaby Sobotka würde das vermutlich anders sehen und auch der Martin«, konterte Wilma. »Ihr habt die Qualen dieser beiden Kinder beendet und von zahlreichen anderen auch. Franca hat mir erzählt, dass inzwischen schon in sieben Fällen Anzeige wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht laufen. Das ist doch ein riesiger Erfolg. Auch wenn es quasi nur Nebeneffekte der eigentlichen Suche sind.«
Wilma hatte recht wie fast immer. Ihre Worte rückten die Dimensionen wieder einigermaßen zurecht. Palinski fühlte sich gleich besser. Als Harry dann noch meinte, dass er sehr stolz auf seinen Vater sei und Tina dem lautstark zustimmte, fand der so Ausgezeichnete, dass der heurige Neujahrstag insgesamt doch gar nicht so schlecht gelaufen war.
* * *
Walter Kleemann, ein 32-jähriger Single und von Beruf Busfahrer auf der Linie St. Pölten-Traisen-Lilienfeld, hatte mit Freuden den Beginn des Jahres nachgefeiert, da er sich in der Silvesternacht etwas dazu verdient hatte. Nach Dienstschluss am 31.12. war er von 21 Uhr bis 6 Uhr am Neujahrsmorgen mit dem Taxi in der und um die niederösterreichische Landeshauptstadt herum unterwegs gewesen. Dann hatte er bis gegen 14 Uhr geschlafen, seine Eltern besucht und nach einem kurzen Nickerchen um 20 Uhr seine Freunde getroffen.
Da keine der im Verlauf des Abends gemachten Bekanntschaften an einer Vertiefung der Beziehung bei ihm zu Hause interessiert gewesen war, kehrte er gegen 3 Uhr alleine nach Hause zurück. Sein Dienst begann um 5.30 Uhr und er war hellwach. Daher beschloss er, sich noch einen Film anzusehen. Er hatte den Thriller mit Bruce Willis aufgezeichnet, der in der »Prime time« im ersten Kanal gelaufen war.
Der Film hatte wohl etwas verspätet begonnen, denn die Aufzeichnung begann mit einer Suchmeldung der Wiener Polizei. Er wollte schon vorspulen, als das Phantombild der gesuchten Person am Bildschirm erschien. Die Frau kam ihm irgendwie bekannt vor.
»Falls Sie diese Frau oder jemanden, der ihr ähnlich sieht, kennen oder gesehen haben, wenden Sie sich bitte an die nächste Polizeidienststelle oder direkt an das Innenministerium .« Dann wurden zwei Kurzrufnummern zum Gratistarif eingeblendet.
Kleemann wollte gerade eine Flasche Bier öffnen, als ihm die junge Frau einfiel, die am Bahnhofsplatz in St. Pölten ausgestiegen war. Sie war ihm wegen ihrer guten Figur und der schönen langen Haare aufgefallen. Er hatte sich noch gedacht, dass er ein Mädchen wie sie auch nicht gerade von der Bettkante stoßen würde.
Die junge Frau war in Wirklichkeit schöner als auf dem Bild, aber sie war es, ganz ohne Zweifel. Er spulte das Band an den Anfang zurück und sah sich die Sondermeldung nochmals an. Ihr Schicksal erschütterte sie , vor allem aber das ihres Babys. Entschlossen notierte er die beiden eingeblendeten Telefonnummern, holte das Telefon heran und begann zu wählen.
Zehn Minuten später wurden Franca Aigner und Inspektor Helmut Wallner nach nur knapp drei Stunden Schlaf schon wieder geweckt. Bereits eine halbe Stunde später jagten die beiden auf der Westautobahn Richtung St. Pölten, um die Suche zu organisieren.
Ein neuer Tag, eine neue Chance auch für das Baby?
Nur dem Umstand, dass Palinski sein Handy im Büro vergessen und Harry versehentlich den Hörer des Festnetzapparates von der Gabel geschoben hatte, war es zu verdanken, dass dieser frühe Kelch an ihm vorbei gegangen war.
3
In den frühen Morgenstunden hatten im Osten Österreichs teilweise heftige Schneefälle eingesetzt und eine dicke weiße Decke über das Land gelegt. Da heute noch dazu Sonntag war, herrschte eine dieser unwirklich anmutenden Situationen fast vollständiger Stille. Selbst der Lärm der wenigen auf den Straßen verkehrenden Fahrzeuge wurde nahezu gänzlich geschluckt. Palinski war vor einigen Minuten aufgewacht und lauschte fasziniert Geräuschen, die man sonst kaum zu hören bekam. Die einzelnen Tropfen des nicht ganz dichten Wasserhahns im gut zehn Meter
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