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Heute bin ich blond

Heute bin ich blond

Titel: Heute bin ich blond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie van der Stap
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weniger«? – »wir behalten das im Auge.«
    Noch immer ist Doktor L. für mich ein unheimlicher, schrecklicher Mensch, der mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt hat. Als ob er schuld wäre am Wildwuchs der Tumoren in mir. Immerhin hat er ihnen einen Namen gegeben. Auf seinem Namensschild steht Doktor L., aber die Schwestern nennen ihn beim Vornamen. Und ich auch. Lusche klingt so hässlich. Er kommt regelmäßig vorbei, jeden Tag, wenn es geht, um zu sehen, was seine Pflänzchen machen. Er ist lang und schlaksig und nennt sich Hämatologe. Er ist immer in Eile und – in seinem weißen Kittel zumindest – grob, hölzern und sozial vollkommen unterbelichtet. Im Umgang mit seinen Patienten jedenfalls. Mit seinen Kollegen höre ich ihn oft lachen. Man merkt, dass er einer von diesen Wissenschaftlern ist, die sich gern hinter ihren Büchern verschanzen und bei ihren Patienten nicht den leisesten Hoffnungsschimmer aufkommen lassen. Auf die Psyche lässt er sich nicht ein, die kann man schließlich nicht messen. Zwei Nächte hat er uns im Ungewissen darüber gelassen, ob ich überhaupt behandelt werden kann. Später stellte sich heraus, dass die Unklarheit mehr mit seiner Wortwahl zu tun hatte, als mit meinen kranken Organen.
    Aber er ist auch mein Arzt, meine Hoffnung, mein Heiler. Mein Medizinmann. Und damit meine ich nicht so einen mit einem braunen Stofflappen um die Lenden. Nein, damit meine ich reine Heilkunde, aufrichtige Leidenschaft und enorme Tatkraft, um all die Sophies von ihren Alpträumen zu erlösen. Niemand in meiner Welt reicht an ihn heran. Nicht einmal Doktor K.
    Diese Woche humple ich zum ersten Mal kahlköpfig im Krankenhaus herum. Eine Perücke habe ich zwar, aber ich bin mir immer noch nicht schlüssig, wen ich hässlicher finde: Sophie mit Muttchenkopf oder Sophie als Skinhead. So habe ich mir einfach nur ein Tuch um den Kopf gebunden und bin nun nicht mehr von der Reinemachefrau zu unterscheiden, die mit ihrem Eimer Chlor und ihrem Mopp mein Zimmer jeden Tag noch steriler macht. Schwester Bas nennt mich jetzt »Glatzkopf«. Bei ihm kann ich darüber lachen. Um acht weckt er mich mit dem Ruf »Guten Morgen, Glatzkopf!« – als wäre ich die Einzige auf der Station – und hilft mir, ein sauberes Hemd anzuziehen. Das ist gar nicht so einfach mit all den Drähten, die aus meinem Handgelenk ragen. Dann streicht er mir über den Schädel und plaudert ein bisschen, während er mein Handgelenk frisch verbindet, um die Verdrahtung etwas in Schach zu halten.
    Ich bekomme zwei Beutel Blut, A positiv, die mein HB aufmöbeln und die schlappe Sophie zur schnellen Sophie machen sollen. Verrückte Vorstellung: Man bekommt Blut von einem anderen Menschen, wie eine Art Droge, damit man sich besser fühlt. Vielleicht ist das der Grund, warum jetzt alles ein bisschen anders ist. Warum ich Torte und Lakritze nicht mehr so mag. Und vielleicht auch, warum ich jetzt so gern schreibe.
    »Ist das wieder ein Durcheinander!«
    Ja, ja, dreh du dich mal gemütlich auf die Seite mit den ganzen Schläuchen im Bett. Gegen halb elf gehe ich meistens unter die Dusche. Um die Zeit totzuschlagen, bin ich extra lange mit Bodylotion und anderen Cremes zugange. Alles was ich anziehe, muss erst über die Füße, dann über die Hüften, sonst kriege ich Ärger mit der Infusion. Eitel bin ich immer noch; ich habe meine schönsten T-Shirts mitgenommen, für den Fall, dass Doktor K. oder ein anderer sexy Arzt bei mir hereinschaut. Oder dass ich zu irgendeiner Untersuchung aus meiner Station raus und durch die Eingangshalle muss. Da registriere ich sehr genau die Blicke, die ich auf mich ziehe, wenn ich meinen Infusionsständer mit den baumelnden Chemobeuteln vor mir herschiebe. So schnell wie möglich verschwinde ich wieder in meinem Zimmer und versuche diese Umgebung zu vergessen. Alles zu vergessen, denn immer noch wird mir jeden Morgen gleich beim Aufwachen bewusst, dass auf meinem Kopf keine Haare mehr wachsen.
    »Hallo, Süße, wie fühlst du dich?«
    Ich drehe mich nach der vertrauten Stimme um. Eine riesige lila Orchidee erscheint im Zimmer, dahinter Annabel.
    Annabel und ich sind schon zusammen in den Kindergarten gegangen und haben danach auf der Burgtschool zusammen schreiben und rechnen gelernt. Seitdem ist kein Tag vergangen, an dem wir nicht wussten, wo sich die andere gerade herumtreibt. Und vor allem, mit wem sie sich herumtreibt.
    Wir sind beide Zwilling. Um unseren unterschiedlichen Charakter mit ihrem Glauben an

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