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Heute bin ich blond

Heute bin ich blond

Titel: Heute bin ich blond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie van der Stap
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andere einsame Krebspatienten. Oder Ex-Krebspatienten, die meine verrückten Gedanken und Erfahrungen kennen und verstehen. Teilen heißt die Devise. Und vom Teilen kriege ich eine Gänsehaut.
    Es ist voll heute auf dem Noordermarkt. Käufer, Verkäufer, Brot, Pilze, Blumen, Leute in Straßencafés, Apfelkuchen. Viel Sonne und ein blauer Himmel. Um kurz vor eins komme ich mit einer großen schwarzen Sonnenbrille, einem schwarzen Haarband und einer blonden Lockenmähne auf dem Kopf am Café De Winkel an. Erwartungsvoll suche ich die Tische ab, nach einem Jungen namens Jurriaan. Weil Jurriaan auch mit einundzwanzig an Krebs erkrankt ist und ich ihn um ein paar Ecken herum kenne. Jetzt ist er sechsundzwanzig. Unter einem der beiden kleinen Vordächer liest ein junger Mann seelenruhig Zeitung, das
NRC Handelsblad
.
    Ich nehme die Sonnenbrille ab; meine Augenbrauen und Wimpern sind inzwischen wieder halb nachgewachsen. »Bist du Jurriaan?« Der Junge sieht auf. »Nein.« – »Oh.« Ich gehe weiter und setze mich an einen der Tische.
    »Sophie?« Ich schaue auf, direkt in die dunklen Augen von – möglicherweise – Jurriaan.
    »Hi, ich bin Jurriaan, ich glaube, wir sind uns schon mal irgendwo begegnet, dein Gesicht kommt mir bekannt vor.«
    Die dunklen Augen bleiben dicht neben mir hängen. Drei Küsse. Jurriaan trägt ein bläuliches T-Shirt, nicht zu groß, so dass ich noch sehe, wie gut er gebaut ist. Schicke Nikes und eine Schultertasche voller Bilder. Viele Haare und ein schönes Gesicht. Er läuft zwar nicht mehr kahlköpfig und ohne Wimpern herum, aber er muss das alles auch durchgemacht haben, wie ich. Ich sehe mir seine Haare und seine Augen noch einmal genau an. Dichte Brauen und Wimpern. Schön, die habe ich nächstes Jahr auch wieder.
    Wir bestellen zwei Mineralwasser.
    »Jur«, – für Schicksalsgenossen – »ging’s dir sehr schlecht?«
    »Das kann man wohl sagen. Die Chemo hat nicht angeschlagen, und die Bestrahlung hat auch nicht alles weggekriegt. Schließlich hat sich’s eingekapselt.«
    »Eingekapselt?«
    »Ja, das können sich die Ärzte auch nicht erklären.«
    »Ah. Muss ich mich auf was sehr Schlimmes gefasst machen?«
    »Du hast eine heftige Zeit vor dir, Sophie. Aber so wie du auf mich wirkst, hast du schon einiges an Ruhe gewonnen und bist auf einem guten Weg. Bewahr dir diese Ruhe und lass dich nicht verrückt machen von deiner Angst, sondern fokussier dich auf deine letzte Untersuchung. Die war doch gut, oder?« Jurriaan sieht mich durchdringend an.
    Ich nehme nichts mehr von dem wahr, was um mich herum vorgeht, nichts existiert mehr für mich, nur noch Jurriaans Augen und seine Stimme. Ich nicke.
    »Du bist stark, das seh ich, ich bin mir sicher, du schaffst das.«
    Zwei Stunden später steht Jur – für Freunde – als Erster auf. Ich schaue ihm nach, als er über den inzwischen leeren Noordermarkt davongeht. Mein Herz klopft noch von unserem Gespräch. Mein erster Schicksalsgenosse. Und was für einer. »Glückstreffer« nennt mein Freund Jan das; jemand, mit dem man reden kann, und noch dazu jemand mit einem so tollen Körper.
    Wenn Jur von seinen Erfahrungen, Emotionen und Ängsten spricht, bekomme ich eine Gänsehaut, wie bei einem ersten Anflug von Verliebtheit oder wie früher bei einem dicken Schmatz von Annabel. Und wirklich bin ich – so geht das bei mir – ein bisschen in Jur verliebt. Nur weil er den Krebs auch kennt und weil ein Blick genügt. Und weil er ein besonders netter und gutaussehender Junge ist. Apfelkuchen mit Schlagsahne, und das esse ich am liebsten mit ihm in dem Straßencafé am Noordermarkt.

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    Dienstag, 5. April 2005
    Es gibt Farben, die beißen sich, und da hat mein Vater manchmal keinen Blick dafür. Heute Morgen hat er ein froschgrünes Hemd angezogen und darüber ein olivgrünes Jackett. Speziell für den Anlass, hat er gesagt. Den Anlass, mich mal wieder am OLVG abzusetzen. Mein Vater wird immer und überall von seinen drei Damen eingekleidet, er selbst kann das nicht. Wie die meisten Väter geht er nicht gern einkaufen; solche Dinge interessieren ihn auch nicht. Früher muss das ganz anders gewesen sein, da hatte er einen gut zwanzig Zentimeter langen, an den Enden aufgebogenen Schnurrbart. Vor dem Schlafengehen klemmte er zwei kleine Wäscheklammern daran, um ihn in Form zu halten. Auf Partys nahm er jedes Mal sein Haustier mit, einen ausgestopften Alligator auf Rollschuhen, den er an einer Schnur den ganzen Abend hinter sich

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