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Heute bin ich blond

Heute bin ich blond

Titel: Heute bin ich blond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie van der Stap
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herausstellte, dass die Tumoren nur an meiner Lunge sitzen und nicht an der Leber, sind meine Chancen von fünfzehn auf siebzig Prozent gestiegen. Was mir oder meinem Arzt allerdings nicht allzu viel sagt. Die einst so undurchschaubaren Werte in meinem Laborbefund, den ich immer mit mir herumtrage, wenn mein Blut wieder mal untersucht werden muss, werden zu einem Halt. Ich traue mich wieder, nach vorn zu schauen, Hoffnung zu schöpfen und meine Niedergeschlagenheit abzuschütteln. Ja, mehr noch, ich genieße mein neues Leben: die Überfülle an Zeit, die ich für mich habe, und die Perücken, die mich wieder als richtige Frau durchs Leben gehen lassen. Ich wage mein Leben wieder in die Hand zu nehmen.
    Meine Familie stellt sich sehr behutsam auf meine emotionale und physische Verfassung ein. Die dauernde Müdigkeit hat meine Toleranz auf die einer alten Bissgurke zurückgeschraubt. Alle drei halten sich in Stimme und Ausdruck zurück, wenn sie in meine Nähe kommen, aus Angst, die Erbse unter der Prinzessin zu erschüttern. Ich habe keinen Platz für ihre Emotionen, nur für meine eigenen. Ich ertrage es nicht, wenn sie meinetwegen vor Kummer erstarren oder in die Knie gehen. Deshalb, aber auch weil ich ein wachsendes Bedürfnis verspüre, meine Angelegenheiten selbst zu regeln, will ich alles allein machen. Die Gespräche, die Untersuchungen, die wöchentlichen Bluttests, alles was auch nur ein bisschen Anspannung mit sich bringt. Meine erste Kontrolluntersuchung liegt hinter mir, und die Zahl der T-Shirts neben meinem Bett ist auf null gesunken. Auf diese Null hin bin ich mit dem Buch von Lance Armstrong – Sieger über einen bis ins Gehirn metastasierten Hodenkrebs, siebenfacher Tour-de-France-Sieger und Initiator des gelben Armbandes, von dessen Erlös jeder Euro in den Kampf gegen den Krebs fließt – heute Nacht wieder in mein Hinterhaus umgezogen, weg aus dem Haus meiner Eltern, aber noch in Reichweite.

[home]
    Mittwoch, 6. April 2005
    Nicht nur mein Vater hat Probleme mit Farbkombinationen. Die Innenarchitekten des OLVG stehen ihm darin in nichts nach. Die Primärfarben der Lungenstation, auf quadratische Flächen verteilt, scheinen psychologischen Kriterien zu folgen. Die gelben Fensterrahmen kontrastieren mit dem Blau ringsum und sollten mich beruhigen, aber die Unruhe, die ich an den Tagen bei Doktor K. gespürt habe, kam von dem Gelb und Blau und nicht von den langen Nadeln. In die C6 hat man diese experimentierfreudigen Leute nicht hineingelassen. Hier hat man Zartlila und Himmelblau gewählt, eine Kombination, die mich stark an die Räume in der Grundschule erinnert. Vielleicht sollte sie dort auch die Insassen beruhigen.
    »Überraschung!«, rufe ich, als Bas auf der C6 zu seinem üblichen »Hallo, Glatzkopf« ansetzt, dann aber Sophie mit roten Haaren sieht. Ich nenne die C6 auch meinen Kurort, und das ist nicht mal so weit von der Wahrheit entfernt. In einem Kurort kommt man zur Ruhe, man verlässt ihn in besserer Verfassung als bei der Ankunft – heißt es –, und man wird gut versorgt. So ist es auch bei Schwester Bas und den anderen.
    »Herz, Blase und Nieren: Die müssen wir im Auge behalten. Hast du da irgendwelche Beschwerden?«, fragt Schwester Pauke.
    »Beschwerden? Am Herzen? Nein, verdammt, ich kann nur das Pipi nicht mehr so lange halten. Manchmal gehen ein paar Tropfen daneben, wie bei den Omas in der Werbung.« Wenn das passiert, trage ich einfach Tena statt Libresse.
    Bas macht einen Witz darüber und geht mir in mein Zimmer voran. Meine dritte Krankenhauswoche beginnt. Die wöchentlichen Chemococktails aus Vincristin und anderem, die ich jeden Montag eine Stunde lang in der Ambulanz bekommen habe, sind Vergangenheit. Jetzt muss ich mich alle drei Wochen melden, und meine Tumoren werden auf Station weggespritzt.
    Nach fast der Hälfte meiner klinischen Behandlungen, werde ich nun in ein Mehrbettzimmer gelegt. Bisher hat mir mein Alter einen Sonderstatus verschafft, der mich davor bewahrt hat. Aber es gibt auf der Station nur vier Einzelzimmer, und die sind für Patienten reserviert, die isoliert werden müssen, oder für Sterbe- und Ausnahmefälle. Zu Letzteren gehöre ich, aber leider sind diesmal die anderen Gruppen so stark vertreten, dass ich in einen Saal voller Krebs muss.
    Ich liege zwischen zwei Quasseltanten und wechsle hin und wieder verständnisinnige Blicke mit dem Mann gegenüber, der sich die überaus spannenden Gespräche der beiden auf

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