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Heute bin ich blond

Heute bin ich blond

Titel: Heute bin ich blond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie van der Stap
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herzog.
    Von einer Erbschaft konnte er vor über dreißig Jahren ein altes Grachtenhaus kaufen, was sich schon bald als gute Investition erwies. Um den Umbau finanzieren zu können, zog er mit fünf Freunden dort ein. Jeder bekam in der Diele eine Fliese mit seinem Namen: Ton – mein Vater –, Raymond, Henk, Mark, Geert-Jan und noch ein Ton. Loes, der Name meiner Mutter, kam als Letzter dazu, und sie ist außer meinem Vater auch die Einzige, die in dem Haus geblieben ist. Bis Zus und ich geboren wurden. Dann kamen noch drei Katzen dazu: Keesje, Tijger und Saartje. Keesje ist in einem Kinderbauernhof-Schrägstrich-Tierheim gelandet – das Tierheim konnten meine Eltern ihren beiden kleinen Mädchen nicht verkaufen, auch wenn Keesje die Hinterlist in Person war –, Tijger ist mit drei Jahren vor unserer Haustür überfahren worden und, wenn ich mich recht erinnere, schließlich an einer Katzenluftlunge gestorben, und Saartje wird mit ihren inzwischen fünfzehn Jahren eine immer angenehmere Hausgenossin. Sie sieht nicht mehr sehr gut und wird allmählich senil, was sich in zunehmender Anhänglichkeit äußert und in unbedachten Aktionen wie etwa Angriffen auf vorbeitrabende Schäferhunde oder zu Besuch kommende Freundinnen.
    Mein Vater und ich mussten laut lachen, als ich beim Pinkeln die ersten Schamhaarlocken auf dem Klopapier entdeckte.
    Mein Vater: »Sagen Sie, Mevrouw, bekommt man bei Ihnen auch Schamhaar?«
    Ich: »Oder kriege ich das gratis zu der Perücke dazu?«
    Aus demselben Anlass, aus dem mein Vater sich heute grün gewandet hat, habe ich mir Sue aufgesetzt und Blondie eingepackt, denn Blondie haben die Krankenschwestern inklusive Bas länger nicht mehr gesehen. Daisy und Stella habe ich zu Hause gelassen. Unterwegs ist es immer still im Auto, denn wir müssen alle vier oder drei oder zwei wieder auf Doktor L. umschalten, auf Rhabdomyosarkom, auf Angst und alles, was es in einem Krankenhaus sonst noch Schlimmes gibt.
    Sobald ich aber den Fuß ins OLVG setze, wird in meinem Kopf ein Schalter umgelegt, und es zählt nur noch eins: Überleben. Trotz meines abendlichen Kummers fühle ich mich geborgen und geliebt. Es ist eine kleine, einsame, aber auch eine gute, warme Welt. Der Schalter hilft mir durch meine Krankenhaustage, macht die Distanz zwischen den beiden Welten aber umso größer. Auf der einen Seite eine Welt mit einem einzigen Bett und einem einzigen kranken Mädchen darin, auf der anderen eine Welt mit einem warmen, liebevollen Zuhause, wo mir die Tränen in die Augen schießen, wenn meine Gedanken zu dem einsamen Bett wandern.
    Vor meiner Nase hängen kleine schwarze Bilder, die Doktor L. an seinen Röntgenbildbetrachter geklemmt hat. Heute bekomme ich die Aufnahmen von meiner Kontrolluntersuchung zu sehen. Teure Aufnahmen offenbar, aber das sieht man ihnen nicht an. Doktor L. lacht kurz, als er mich mit meinen roten Haaren sieht, er macht einen Scherz und kommt dann zur Sache, meiner Lunge. Ich kann es selbst sehen: Die Tumoren sind kleiner geworden. Die Kontur meines rechten Lungenflügels zeigt weniger Anomalien als vor zwei Monaten, als ich den Kampf gerade erst aufnahm. Die Haut um den linken Lungenflügel beschreibt einen schönen straffen Bogen, den man mit einem Zirkel nachzeichnen könnte. Am rechten Lungenfell dagegen war sichtlich kein Zirkel am Werk. Das sieht eher nach Spaghetti aus, mit einzelnen Ravioli dazwischen, von denen die größte am tiefsten sitzt, dicht bei der Leber. Irgendwo in der Mitte hängen Tick, Trick und Track, und dann ist da noch ein Ausreißer ganz oben, tief versteckt hinter meiner rechten Brust. Nennen wir ihn Kater Karlo, der Einfachheit halber. Der Name meiner Krankheit, des Rhabdomyosarkoms, steht für aggressiv – rhabdo, Muskelmasse – myo und bösartige Geschwulst – Sarkom. Die Tumorzellen setzen sich an den weichen Körperpartien fest. Das kann Bindegewebe sein, Muskelgewebe oder sonstiges Gewebe. Irgendwo habe ich gelesen, dass meist Arme und Beine betroffen sind. Und dass eine Amputation notwendig werden kann. Bin ich froh, dass es bei mir die Lunge ist.
    Es gibt bei meiner Krankheit drei Schweregrade; ich falle in die mittlere Gruppe. Nicht die Schlimmste, aber auch nicht die Einfachste. Da die Krankheit so selten ist, weiß man noch relativ wenig über ihre Entstehung und den Heilungsprozess. Die meisten Wissenschaftler halten sie für eine angeborene Anomalie, aber warum diese Anomalie jetzt, in meinem einundzwanzigsten Lebensjahr,

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