Heute bin ich blond
gehöre zu den Frauen, die »Natur pur« gegen Puder und Pinsel aus der DA -Drogerie eingetauscht haben. Bei den Augenbrauen fange ich an. Mit meinem Pinsel – horrende zweiundvierzig Euro hat er gekostet – ziehe ich sie vorsichtig nach. Von den dichten dunklen Streifen, die ich von Natur aus habe, sind nur noch ein paar Härchen übrig. Wie lange es wohl noch dauert, bis ich als Miss Moneypenny durchgehe? Als Nächstes tritt der Kajalstift in Aktion. Wimpern, die ich länger erscheinen lassen könnte, habe ich nicht mehr. Na ja, Kajal macht auch was her.
Ich wähle Sue, weil ich gestern schon als Daisy draußen war. Abwechslung und Farbkombinationen, da bin ich gut drin.
In der Gravenstraat verdrücke ich zusammen mit Rob, Jochem und Jan ein Steak. Jan und ich haben seit dem Krebs den gleichen Rhythmus. Er steht zwar früher auf als ich, aber wir essen zusammen. Er luncht, ich brunche. Nach einer Einkaufstour über den Markt in der Haarlemmerstraat trennen wir uns wieder. Als erfolgreicher Fernsehmoderator und Wochenendhomo, der gern allein ist, verschwindet er in seinem Arbeitszimmer, und ich tue seit einigen Tagen das Gleiche. Immer mehr fällt mir ein, und ich will nicht den Faden verlieren.
Rob hat den gleichen Rhythmus, jedenfalls solange er nicht zu Aufnahmen für die Nachrichtensendung
Hart van Nederland
oder den Wetterfrosch Piet Paulusma ins Poldergebiet muss. (Rob ist freiberuflicher Kameramann.)
Der am wenigsten Erfolgreiche von den dreien ist Jochem, der so viel Wirbel ums Nichtstun machen kann, dass es aussieht, als würde er ein viel arbeitsreicheres Leben führen als mein Arzt. Er beschäftigt sich ständig mit der Kneipe, in der er nicht sitzt, statt mit der, in der er sitzt. Jochem kenne ich schon am längsten. Bis vor einem Jahr hatten wir täglich Kontakt, jetzt nur noch wöchentlich, aber wir kuscheln noch genauso gern miteinander.
Immer öfter bin ich mit Jan, Rob und Jochem zusammen, und immer mehr genieße ich mein Leben als Patientin. Ich trinke in der Kneipe den ganzen Tag Pfefferminztee und werde auch noch dafür bezahlt.
Jan sagt, er hat etwas über die Tage geschrieben, als wir so fassungslos und durcheinander in der Gegend herumgelaufen sind. Zwei Tage nach der schlimmen Nachricht trafen wir uns im Harkema, einem Bierlokal in der Nes. Wie Franken und Kok hatten auch Jan, Rob und Jochem die Arbeit an diesem Tag sausenlassen, damit wir uns in Marcels Fitnessstudio im Hotel Barbizon treffen konnten. Bei Wein, Pommes und Zigaretten hatten wir damals zum ersten Mal wieder Spaß. Und als Jochem und Franken ihre Rob-und-Kok-Imitation zum Besten gaben, habe ich Tränen gelacht.
Es ist ein schöner Gedanke, dass wir damals in unserer Verwirrung alle einsam waren, nicht nur ich, auch wenn es mir manchmal so vorkommt. Vielleicht fühlen wir uns deshalb auch so wohl miteinander. Wir empfinden die gleiche Bewegung, die gleiche Ohnmacht, wir weinen die gleichen Tränen. Das wird mir jetzt erst klar.
Wenn wir zusammen sind, bin ich ein anderer Mensch. Einer der dort ist, wo er ist, und nicht dort, wo er nicht ist. Es überrascht mich, dass ich in meinem Alter den Drang, so viel wie möglich zu sehen und zu entdecken, über Bord werfen kann, ohne das Entdecken auch nur einen Augenblick lang aufzugeben. Ich wage nicht mehr in die Ferne zu blicken, Ausschau zu halten nach Praktikumsplätzen, nach Dingen, die sich in meinem Lebenslauf und auf Visitenkarten gutmachen würden, und deshalb genieße ich, was das Zeug hält. Ich genieße nicht nur den Tag, ich genieße mein Frühstück, meinen Kaffee, meine Cocktails und meinen Wein, meine Nachmittage draußen in der Sonne oder, wenn es regnet, drinnen, ich genieße die Abendsonne und das Gewitter, ich genieße, genieße, genieße. Mein übervoller Kalender hat leeren Seiten Platz gemacht, die sich mit all den genossenen Momenten füllen. An diesen leeren Seiten halte ich mich fest. Ich habe Ruhe gefunden, und die will ich nie mehr loslassen.
Rob unterbricht meine Gedanken. »Deine Haare sind richtig gut so, Schatz. Du siehst toll aus. Perfekt, wirklich.« Ein Lächeln über mein ganzes Gesicht. Rob und ich sind zwar nur Freunde – keine Lover –, aber verrückt nacheinander waren wir vom ersten Tag an. Er sieht phantastisch aus, und ich greife immer nach seiner Hand, wenn wir zusammen durch die Straßen gehen. Da wird den ganzen Tag gelacht, gekreischt, gebrüllt, mit oder ohne Jan. Sogar ein bisschen Eifersucht kommt auf, wenn der andere
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