Heute bin ich blond
im Straßencafé flirtet. Irgendwie gehören wir einfach zusammen.
Als Sue fühle ich mich heute anders als gestern, da war ich Daisy. Mit meinen roten Haaren rufe ich nicht nur andere Reaktionen hervor, ich komme mir auch vor wie ein anderer Typ Frau. Eigenwilliger und damit auch ein ganzes Stück selbstsicherer. Die roten Haare haben zu meiner Überraschung eine erstaunliche Wirkung. Rassig findet man mich, wenn ich als Sue in eine Kneipe komme, und so fühle ich mich dann auch gleich. Und die einsamen Männer an der Bar haben wieder einen Grund, mich anzuquatschen.
»Na, Mädchen, deine wilde Mähne bist du ja noch nicht los«, sagt ein einsamer Mann an der Bar.
Ich spiele das Spiel mit und lasse meine Haare fliegen. Jan und Jochem lächeln, Rob beobachtet die Szene genau. Blond fühle ich mich zwar sexyer und mehr beachtet, also mehr wie ich selbst, denn ich fühle mich gern sexy und beachtet, aber es ist schön zu sehen, dass auch das Rot seine Wirkung tut. Aber wie würde der Mann mich finden, wenn ich kahlköpfig hereinkäme? Jedenfalls nicht sexy, rassig oder weiblich. Nur kahl.
In meinem Leben hat sich so viel verändert, und in mir hat sich so viel verändert. Ein fremder Kopf in meinem Spiegel. Ich erkenne mich nicht wieder. Ich damals und ich heute – dazwischen liegen Welten. Aber die vielen verschiedenen Köpfe tragen dazu bei, dass man sich selbst richtig sehen lernt. So von wegen das bin ich, und das bin ich, und das bin ich … und das bin ich wirklich.
[home]
Freitag, 15. April 2005
»Sophie!«
Ich stehe bei Hildus vor der Tür. Gerade als ich klingeln will, ruft jemand meinen Namen.
Mit einer vollgepackten blau-weißen Einkaufstasche kommt Hildus angelaufen. Er sieht mich prüfend an. »Ja, du bist’s wirklich. Neue Frisur?«
Hildus weiß offenbar noch nichts, und so spiele ich mit. »Ja«, sage ich mit einem leicht verzweifelten Lächeln. Es verrät meine Unsicherheit. Hildus scheint unzufrieden. Mit starrem Blick betrachtet er meine Haare, die sich so geschmeidig und natürlich mitbewegen wie die Betonfrisur unserer Königin.
Ich habe ein Date. Mit einem Jungen, der von nichts weiß. Gruselig, ein Date mit einem Krebskopf. Das letzte Mal geflirtet und mit einem Mann geschlafen habe ich in New York auf und nach der Silvesterfeier mit Annabel. Aber seit meiner Diagnose habe ich mich nicht mehr mit Männern abgegeben und sie nicht mit mir. Hildus, der Junge, der neben mir steht, weiß von nichts. Wir haben uns im Dezember zuletzt gesehen, bevor ich zu Annabel nach New York bin. Das war im Club NL am Nieuwezijdsvoorburgwal. Ein paarmal sind wir uns seitdem begegnet und haben miteinander geflirtet, Telefonnummern upgedated und anzurufen versprochen, aber es kam nie dazu.
Am selben Abend lief ich auch meinem Ex über den Weg, von dem ich schon gut zwei Monate nichts mehr gehört hatte. Wenn ich an das Wort Beziehung denke, dann denke ich an ihn. Wir waren ein Jahr zusammen, und wir waren wirklich viel zusammen. Morgens joggen im Vondelpark oder im Amsterdamse Bos, dann frühstücken, mailen und, wenn noch genug Zeit war, bei Brandmeesters Kaffee trinken. Er musste um halb elf in seiner Galerie sein, ich eine halbe Stunde später in der Uni. Die halbe Stunde reichte gerade, um von seiner Wohnung zu meinem ersten Seminar zu kommen. Er war mit mir in Indien, und ich wollte mit ihm nach Südfrankreich. Unser Background und unsere Freunde waren so verschieden, dass wir sofort aufeinander flogen, aber es kam auch zu Missverständnissen und Krächen. Wir machten weiter, bis er einsah, dass die Distanz zwischen uns zu groß war. Da haute er den Knoten durch. Ich war damals zwanzig, er dreißig.
Seit es aus ist zwischen uns, ist der Kontakt auf unter null gesunken. Aber jetzt, wo ich Krebs habe, hoffe ich auf ein Lebenszeichen von ihm, eine Karte; schon eine SMS würde genügen. Ich möchte ihm sagen, dass es mir gutgeht. Dass ich noch esse, lache und Fahrrad fahre, wenn das Wetter es erlaubt. Und dass ich wieder Dates habe wie ein ganz normaler Mensch.
»Irgendwie sehen deine Haare aus wie eine Perücke.«
Da ist er, der Treffer, der mir ein paar Tränen in die Augen treibt. Ich wische sie schnell weg und schlucke den Kloß im Hals hinunter.
Wie eine Perücke. So also sieht Hildus meinen neuen Look. Au. Versetzt mir ganz nebenbei einen Schlag auf den Kopf. Blondie, soeben frisch aufgestylt, sackt zu einem traurigen Häufchen Wasserstoffperoxid zusammen. Mindestens drei Tage habe ich an der
Weitere Kostenlose Bücher