Heute bin ich blond
Perücke herummodelliert, die ich heute trage. Ich habe Blondie gewählt, weil sie mir am ähnlichsten sieht.
Wie eine Perücke.
Ich versuche meine Befangenheit hinter einem schüchternen Lächeln zu verbergen. Meine neuen falschen Haare sind mir nun noch bewusster, und etwas später rutsche ich auf Hildus’ Sofa unbehaglich hin und her. Kein erfolgreicher Geschäftsmann diesmal, sondern ein Teilzeit-Surfer, Entertainer und Schriftsteller. Alles was interessant klingt. Bestens vorbereitet klebt das Spezialhaftband – Teil meines Perückensets zu achthundert Euro – an meinem kahlen Kopf. Nein, dass ich meine Frisur verliere, darüber brauche ich mir keine Sorgen zu machen. Wohl aber über den Pflegeeffekt des Spezialbalsams – auch ein Geschenk –, der plötzlich nachlässt, so dass das Perückenhafte der Frisur auffällt. Wieso habe ich mich auch auf ein Date eingelassen, wo ich doch im Grunde nur einen einzigen Gedanken im Kopf habe: Ich bin krank, anders und allein.
»Ein Glas Wein?«
»Nein, danke. Lieber einen Tomatensaft, mit Zitrone.«
Hildus liebt Pflanzen. Überall hängen mir Blätter in die Haare. Herrlich, dieses Freiluftgefühl junger Frühlingszweige im Haar. Er wohnt an der Prinsengracht, mit Blick auf die belebte Leidsestraat.
In der Küche tritt er dicht neben mich. Das Gemüse ist noch nicht mal in der Pfanne.
»Erst reden«, höre ich mich murmeln. Großartig, Sophie, was für ein Schritt.
Er nimmt zwei vegetarische Knackwürste aus der Verpackung und verbreitet sich dabei über die Bedeutung der Natur und alles, was grün ist. »Ist dir eigentlich klar, was du dir so an Essen reinziehst? Wie mit Tieren umgegangen wird?«
AH , lese ich auf der Verpackung. Aus dem Supermarkt also. Hildus wusste wohl, was mir alles nicht klar ist. Ich setze mich im Zimmer aufs Sofa.
Hildus kommt mit zwei Tellern aus der Küche und nimmt neben mir Platz.
»Hast du Ketchup?« Gesund mag ich zwar sehr und ein bisschen Bio erst recht, aber vegetarische Knackwürste, das habe ich noch nie verstanden. Geschmacklos.
Hildus geht wieder in die Küche und kommt mit einer Flasche Ketchup zurück. Diesmal setzt er sich dicht neben mich und versucht mich zu küssen.
Will ich das? Zum Glück bin ich noch gefragt. Zum Glück sind meine spärlichen Wimpern – das, was davon noch übrig ist – und meine lächerlichen Augenbrauen nicht weiter hässlich. Und zum Glück macht Kajal viel her. Ich rücke auf dem staubigen Sofa vorsichtig einen halben Meter zur Seite, aus Hildus’ Reichweite. Leider mag Hildus Soja, und das rieche ich, als seine Lippen doch wieder meine berühren. Es gibt kein Entkommen. Und leider mag Hildus Haare, durch die er mit den Händen fahren kann, aber mein steifer Bob ist dafür nicht geschaffen. Bevor die Sache schiefgeht und die blonde Sophie zur kahlen Sophie wird, tauche ich weg.
Hildus schaut verwundert auf.
Ich auch. »Ich glaub, ich muss dir was sagen.«
Hildus schweigt.
»Ich bin krank. Krebs. Du hast recht mit der Perücke, ich bin vollkommen kahl.«
Hildus schweigt immer noch. Aber er wirkt nicht erschrocken.
Ich warte noch ein paar Sekunden. Nichts.
»Daher meine Zurückhaltung.« Entsetzt? »Du sagst gar nichts. Bist du erschrocken?«
»Nein, das nicht. Doch, natürlich, ziemlich sogar, aber es macht mir nichts aus. Ich will dich noch genauso gern küssen.«
»Ja? Und die Perücke? Und mein Kahlkopf? Und dass ich vielleicht sterbe?«
»Na, und? Deswegen bist du doch trotzdem noch Sophie.«
Schweigen, meinerseits diesmal. Und dann ein Lächeln. Genau das wollte ich hören. Ich beuge mich vor und küsse Hildus, dankbar und leidenschaftlich zugleich. Dann breche ich auf.
»Bleibst du nicht über Nacht?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil ich einen kahlen Kopf habe. Meine Perücke ist wilden Bewegungen, egal wo, nicht gewachsen. Und es geht einfach nicht, dass ich mich mit all dem Krebskram – sichtbarem und unsichtbarem – an dich kuschle. Ich liege lieber allein mit Saartje im Bett als mit dir.«
»Saartje?«
»Meine Katze.«
»Leg dich doch einen Moment neben mich.«
»Nein.« Ich sehe ihn an. »Ich kann’s nicht, und ich will’s nicht. Aber danke für den Abend.«
Ich gebe ihm einen Kuss, stehe auf und gehe zur Tür hinaus. Ich strahle: Ich kann es noch. Ich bin noch attraktiv. Man pfeift mir noch nach. Ich zähle noch. Und wie schön, dass solche Dates und alles, was dazugehört, plötzlich so unwichtig sind. Ich bin krank, aber ich bin nicht
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