Heute bin ich blond
Aussicht, mich noch nicht von ihm trennen zu müssen. Wir steigen eine lange, steile Treppe hinauf, ich etwas ungelenk, und kommen an einem dunkel gestrichenen Schlafzimmer, einem dunkel gestrichenen Bad und einer dunkel gestrichenen Küche vorbei. Zwischenstopp.
»Ich hab nur Rooibos.« Krawatte ist offensichtlich kein Teetrinker. Während er Wasser aufsetzt, gehen Blicke voller Verlangen hin und her. Und dann sind seine Lippen an meiner Schläfe, meiner Wange, gleiten behutsam zu meinem Mund. Nach Stunden der Spannung haben sich unsere Lippen gefunden und lassen einander nicht mehr los. Ich will mehr, mehr von seinen Lippen, seinen Händen und vor allem seinen Armen. Wir verschwinden im nächsten dunkel gestrichenen Zimmer.
Seine Lippen wandern langsam nach unten. Aus meinem Mund kommen abgehackte Laute, mein Rücken biegt sich hoch. Ich habe Sex und will mich ganz gehenlassen, aber ich kann nicht.
Allerlei Gedanken schießen mir durch den Kopf. Ich sehe weiße Kittel, Nadeln, Doktor L. und dann Rob. Eine Träne. Meine Achsel entlang, meinen Schenkel, meine Wange. Ich denke an mich und Rob und an die Intimität zwischen uns. Die ich jetzt nicht spüre. Ich vermisse Rob.
Ich muss an meine Geschichte denken. Ich möchte sie loslassen, hinter mir lassen, Raum schaffen für andere, neue Dinge.
Aber ich kann es nicht, denn dort fühle ich mich geborgen. Geborgen in meiner eigenen Geschichte.
Leise schluchzend schlafe ich ein, und leise schluchzend wache ich wieder auf. Es ist dunkel, ich muss ein paarmal zwinkern, bis ich die unbekannten Konturen ringsum voneinander unterscheiden kann. Ein schlimmes Einsamkeitsgefühl beschleicht mich. Ich liege auf der rechten Seite, mit dem Rücken zu dem Körper, der irgendwo neben mir im selben Bett liegt. Nur sein Fuß berührt meinen, sonst berühren sich unsere Körper nicht. Ich drehe mich um und schmiege mich an den warmen schlafenden Leib, um die plötzliche Leere in mir wegzukuscheln. Je näher ich ihm zu kommen versuche, desto weiter weg fühle ich mich von mir selbst. Rob schießt durch meine Gedanken, durch mein Herz. Au. Der plötzlich so fremde Körper, an den ich mich geschmiegt habe, fühlt sich kalt und unvertraut an.
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Freitag, 17. Februar 2006
Am Morgen treffe ich Jan im Smalle Amsterdam. Ob er ahnt, dass ich geweint habe? Dass ich mir heute Morgen, als die Straße noch schlief, eine Kerze ins Bad gestellt und mir unter der Dusche den Kummer abgewaschen habe?
Bestimmt nicht. Wie auch, ich habe es ja selbst wieder vergessen. Und erinnere mich erst daran, wenn es wieder Nacht wird. Es gibt doch allerhand Dinge in mir, die unbemerkt bleiben. Nicht nur von den Menschen um mich herum, auch von mir selbst, an jedem Tag, den ich neu beginne.
Aber da sind sie. Die unerwarteten Stimmungen. Die plötzlichen Tränen. Das spontane Schluchzen. Ich schneide eine Zwiebel, und die Tränen beginnen sacht und dann immer reichlicher zu fließen. Ich fange sie mit den Lippen auf, lecke sie mit der Zunge ab. Salz. Ich hacke weiter, im Rhythmus meines Atems, und suche dabei Ruhe in mir selbst. Es ist eine intensive Suche. Eine sehr intensive Suche auf dem Weg von Prognosegesprächen im OLVG zu Geburtstagsfeiern und Wein in der Kneipe. Ich laufe weg vor meinen angstvollen Tränen, in die Nacht hinein.
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Donnerstag, 23. Februar 2006
Aber ich war mir über einiges noch nicht im Klaren. Natürlich mache ich mir Sorgen um deine Gesundheit. Ist es denn so sicher, dass du wieder gesund wirst?
Und deine ganzen Chemokomplikationen tun dem physischen Aspekt auch nicht gut. Hoffe, du verstehst das und findest es nicht allzu schlimm, dass verrutschende Perücken, Kästchen in der Brust und andere Überraschungen nicht zu meinen Fetischen gehören.
Au. Da ist von mir die Rede. Ist das wirklich eine Überlegung? Ist das eine Zurückweisung? So weit Krawatte und Oema. Na ja, Discobeats – viel weiter sind wir eben doch nicht gekommen. Es muss natürlich nicht unbedingt etwas ausmachen, dass ich Krebs habe, sterben kann, einigen Ballast mit mir herumschleppe und komische Narben habe.
Aber es macht etwas aus. Männer laufen davor weg. Männer, die mit ihren eigenen Problemen alle Hände voll zu tun haben. Männer, die leicht erschrecken und Angst haben, Angst vor Krebs. Denen schon beim Anblick einer Spritze übel wird.
»Ein Mädchen mit Krebs muss sich doch sicher mehr ins Zeug legen, um beachtet zu werden, als ein Mädchen ohne Krebs, oder?« Solche Gespräche
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