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Heute bin ich blond

Heute bin ich blond

Titel: Heute bin ich blond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie van der Stap
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finden meist in der Kneipe statt, wenn ich über einer Tasse warmem Tee hänge und mein Tischgenosse den Rauch ausbläst und dabei seinen Alkoholkonsum zum Mund führt. Das schafft mich. Als müsste ich einen Rückstand aufholen. Natürlich ist es anders, das merke ich auch, aber ich flirte trotzdem noch. Auch mit Kniekontakt und Lächeln. Der einzige Unterschied: Ich weiß schon im Voraus, dass ich nicht mit dem Betreffenden nach Hause gehen werde. Heute Abend nicht und morgen Abend auch nicht. Das ist mit einem Krebskopf einfach nicht schön. Es erfordert einen Stufenplan, vom ersten Drink an bis ins Bett.
     
    Wenn Männer mich jetzt länger ansehen, als man es aus Höflichkeit tun würde, kann das dreierlei bedeuten: Sie sehen etwas Schönes, sie sehen eine widerliche Rotzglocke aus meiner Nase hängen, oder sie sehen, dass etwas nicht stimmt. Und vor Letzterem habe ich immer Angst. Dann ist es mir auf einmal peinlich, dass ich eine Perücke auf dem Kopf habe. Dass womöglich ein dunkelbrauner Flaum unter meinen blonden Locken vorschaut.
    Ich bin mir nur allzu bewusst, welche Wirkung es hat, wenn ich mit meinen auffallenden Frisuren einen Raum betrete. Aber die Aufmerksamkeit macht mich auch verletzbar, manchmal fühle ich mich unbehaglich dabei, und darauf bin ich nicht immer scharf. Matthijs hat meine Geschichte »ein Leben mit einem Geheimnis« genannt, als er mich interviewte. Das Mädchen, das abends aus dem Haus geht und sich in ihren schönsten Pumps ins Nachtleben stürzt, hat ihn fasziniert. Das Mädchen, das sich von einem unbekannten Jungen küssen lässt, ohne etwas von ihrer schlimmen Wahrheit preiszugeben.
    Dasselbe Mädchen geht morgens mit ihrem Geheimnis über den Markt. Da merkt sie, dass ihre auffallende Frisur die Blicke auf sich zieht, und bekommt sogar zu hören, wie schön ihre Haare seien. So aus der Entfernung ist das angenehm, aber der Schreck in den Augen einer Verkäuferin, wenn ich mit verrutschter Perücke aus der Umkleidekabine komme, ist weniger angenehm. Dann werde ich mit einem Mal in meine Einsamkeit zurückgestoßen, denn ich weiß, dass es meine ungewöhnliche Krankheit ist, die die Verkäuferin oder den netten Jungen im Flugzeug abschreckt. Und eben diese Krankheit ist jetzt – mehr denn je – ein Teil von mir.
    Manchmal betrachten Männer meine sexy blonden Locken, und dann sehe ich ihnen an, dass sie an Dinge denken, mit denen ich lieber nichts zu tun haben möchte. Ich kann es dann nicht lassen, mich zu fragen, ob sie auch so geschaut hätten, wenn ich als Oema oder Sue an der Bar meinen grünen Tee geschlürft hätte. Oder wenn sie meinen eigenen Flaum gesehen hätten. Kahl kennen sie mich nicht. Kahl in meinem Bett, kahl unter der Dusche, kahl in meinem weißen Bademantel, kahl, wenn die Perücke beim Umziehen an meinem Pulli hängenbleibt. Was würden sie dann sagen? So vieles wissen sie nicht von mir. Es ist eine so andere Welt.
    Sie ist mein Geheimnis. Und das soll sie auch bleiben, denn ich habe weder Lust noch die Energie oder den Drang, stundenlang über meine Krankheit zu reden. Ich habe keine Lust auf mitleidige, ungläubige oder erschrockene Blicke. Und schon gar nicht will ich meine Zeit an Leute verschwenden, denen so schnell übel wird. Auf Typen, die mich mit großen Augen und offenem Mund anstarren, wenn sie hören, dass ich eine Perücke auf dem Kopf habe. Und die dann »Echt?« rufen. Da laufe ich am liebsten ganz schnell weg, zu jemandem, der begreift, dass Krebs auch zum Leben gehört. Nicht nur zu meinem, eines Tages vielleicht auch zu seinem.
    Sollen sie mich ruhig für eine blonde Puppe halten, die immer mit rotlackierten Zehennägeln herumläuft. Eine rothaarige Schriftstellerin, die nie mehr ohne ihren Notizblock auf die Straße geht. Oder eine engagierte kleine Politologin, wenn ich in meine Bücher vertieft in der Bibliothek sitze. Was auch immer. Denn auch das ist die Wahrheit. Zwar nicht die ganze, aber eine der vielen.

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    Dienstag, 2. Mai 2006
    »Sophie! Sophie!« Eine grässliche Krankenschwester trompetet mir ins Ohr.
    Ich wache auf; Mama sitzt neben mir. Puh, habe ich lange geschlafen. Schön, diese Narkose. Ich betrachte meine Mutter so lange, bis sie wieder Gestalt annimmt. Plötzlich sehe ich sie so wie vor zwei Jahren. Ihre Haare sind wie damals hochgesteckt. Sie wirkt jünger, weniger besorgt und mehr wie sie selbst. Schön ist sie.
    »Wie fühlst du dich?«, fragt die Schwester.
    »So, dass ich noch ein bisschen schlafen

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