Heute morgen und fuer immer - Roman
mich noch immer das schlechte Gewissen, weil ich Valentin geküsst hatte, andererseits war ich sauer, dass mich Jasper einfach im Stich gelassen hatte. Die Haustür zu seinem Atelier stand meistens offen, weil sich einige Arztpraxen im Haus befanden. Die vielen Treppen ging ich inzwischen um einiges leichter als bei unserer ersten Begegnung. Ich läutete Sturm. Nach einigen Minuten hörte ich Schritte, und ein zerzauster, völlig verschlafener Jasper öffnete die Tür. Als er mich sah, hielt er sich erschrocken die Hände an den Kopf. »Oh, no! Ich hab deinen Krankenhaustermin verschwitzt!«
Ich trat ein und sah zwei leere Weinflaschen neben der Staffelei stehen, an der Jasper im Moment arbeitete, und zählte eins und eins zusammen. Jasper folgte meinem Blick. »Ja, ich hab bis heute früh gearbeitet, es lief so gut, wie du an den Fortschritten sehen kannst. Leider bin ich erst gegen sechs heute früh eingeschlafen und hab dann den Wecker nicht gehört, oder hab ich vergessen, ihn zu stellen?« Jasper dachte kurz nach, um dann den Vogel abzuschießen. »Na ja, aber wie ich sehe, hast du es auch so hinbekommen. Vielleicht ist das gar nicht schlecht, wenn du merkst, dass du das alleine schaffst und niemanden brauchst.« Dazu schenkte er mir ein »Ist doch 'ne super Erklärung, und wieder haben wir alles ins Positive gedreht«-Lächeln. Für ihn schien die Sache damit erledigt.
Was es für mich so schwierig machte, war, dass Jasper an meiner Stelle wirklich entspannt reagieren würde, vielleicht mit 'nem kurzen »Schwamm drüber, wollen wir 'nen Kaffee trinken gehen?«. Nur war ich eben leider nicht genauso locker. Es gab Situationen, die schwer für mich waren, wo ich jemanden brauchte und mich auf denjenigen verlassen wollte. Da nutzte es auch nichts, wenn ich wusste, dass ich mich umgekehrt genauso unzuverlässig verhalten durfte. Ich wollte für den anderen da sein, wenn er mich brauchte, und umgekehrt ihn an meiner Seite wissen. Das war einfach eine Typfrage, wie mir schien. Sauer konnte ich nicht mehr sein, aber nachdenklich schon. Hier handelte es sich um eine Grundsatzfrage, und die Antwort wollte gut überlegt sein. Heute würde ich sie allerdings nicht finden.
Jasper kam näher und nahm mich in den Arm. »Erzähl mal, wie war's denn?«
Nüchtern und knapp berichtete ich, Jaspers Reaktion fiel, wie hätte es anders sein können, optimistisch aus.
»Klingt doch gut! Das bekommen sie wieder geflickt, wirst sehen!«
Zustimmend nickte ich. Sorgen waren nichts für Jasper, das war mir längst klar.
»Wollen wir eigentlich gemeinsam zu meinen Eltern rausfahren?«, wechselte Jasper das Thema.
Ulrike feierte am Abend Geburtstag. Da ich noch verstimmt war, wollte ich lieber zu Ulrikes Fest nachkommen, außerdem musste ich noch unser Geschenk, einen bestickten Seidenpashmina, abholen, bevor mein Lieblingskaufhaus am Rathauseck schloss. Schnell verabschiedete ich mich von Jasper, ging zur U-Bahn Universität und fuhr Richtung Marienplatz zum Kaufhaus Beck, um den Pashmina für Ulrike zu besorgen.
»Mama ist da, Mama ist da!«, rief Nele mir aufgeregt entgegen, als ich aus dem Auto stieg, um Ulrikes Einladung zu folgen. Gespannt ging ich mit Nele in den Verkaufsladen im Hof, wo ein Stehempfang für Freunde und Familie mit Getränken und Häppchen aufgebaut war. Jutta, die aufstrebende Schauspielhoffnung Deutschlands, stand umringt von Familie, Freunden und mit einem Drink in der Hand da und sonnte sich merklich in der Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wurde. Wie sie aussah, wusste ich ja bereits durch einige Werbefilme, in denen sie mitgewirkt hatte, die letzte für Essigreiniger. In natura war sie allerdings noch kleiner und zarter. Jutta weckte Beschützerinstinkte bei Männern, und das wusste sie, denn den anwesenden Exemplaren musste sie nur einen Rehaugenaufschlag schenken, und schon war das Glas wieder gefüllt oder die Jacke abgenommen. Sie sah zweifelsohne sehr gut aus und kleidete sich betont jugendlich, was sie mit ihrer Figur auch gut konnte. Jasper sah mich an der Tür, kam mir lächelnd entgegen und gab mir einen Kuss auf den Mund. Inzwischen fühlte sich das fast wieder normal an, den Zwischenfall mit Valentin hatte ich, so weit es möglich war, verdrängt. Allmählich kehrte Normalität ein, dies bedeutete, dass Valentin und ich uns aus dem Weg gingen.
»Komm, ich stell dir Jutta vor. Ihr versteht euch bestimmt blendend, so von Künstlerin zu Künstlerin!«, grinste Jasper ironisch und boxte mich in
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