Heute morgen und fuer immer - Roman
meinen Mut musste ich zusammennehmen, um nach der Prognose zu fragen.
»Herzchen, ich weiß, ihr denkt immer, nur weil ich den weißen Kittel trage, bin ich Gott. Tatsächlich kann ich nur meinen Job verdammt gut machen und Sie bestmöglich operieren. Aber ich bin doch kein Nostradamus. So oft wie ich schon daneben getippt habe, trifft ja selbst 1860 München öfter das Tor!«
Das fand er wohl witzig und lachte ausgiebig über seinen genialen Gag. Immerhin nahm er noch wahr, dass ich nicht lachte und ihn völlig entgeistert ansah. Wieder wurde ich beruhigend an der Schulter getätschelt.
»Kindchen, das kann schon gut ausgehen. Wissen werden wir es allerdings erst nach 'nem guten Monat, aber seien Sie froh, Sie sehen immerhin gut genug aus, um auch noch andere Optionen zu haben als die eigene Karriere. Sind Sie schon liiert?«
War das der Moment, wo man die Ärztekammer einschaltete, oder stimmte es einfach, was Helene immer sagte, dass die meisten Chirurgen Narzissten beziehungsweise Arschlöcher waren? Wenn es danach ging, musste Eichmüller wirklich der Beste auf seinem Gebiet sein.
»So, die Schwester klärt dann alle Formalitäten mit Ihnen. Sie können mir ja mal 'ne CD mitbringen. Das Beethovenkonzert hat mir seinerzeit gut gefallen.« Sprach's und rauschte von dannen zum nächsten Termin und ließ mich mit offenem Mund zurück.
Die freundliche Schwester, die in ihrer Freizeit bestimmt modelte und die passend zum Design der Klinik ausgesucht worden war, gab mir alle nötigen Infos.
In der U-Bahn war - nur zwei Wochen vor Weihnachten - natürlich die Hölle los, alle fuhren Richtung Innenstadt, um sich entweder mit Freunden auf dem Weihnachtsmarkt zu treffen oder aber Weihnachtsgeschenke zu besorgen. Langsam begann bei mir, alles zu sacken. Einerseits war ich froh, endlich zu wissen, was ich hatte, und etwas dagegen unternehmen zu können. Andererseits stieg in mir natürlich die Angst, ob ich je wieder ganz hergestellt werden konnte und wie sich das auf meine Bewerbung am Konservatorium auswirken würde. Schmälerte es meine Chancen, wenn ich das mit der OP sagen würde, oder wäre es egal? Ich konnte das schlecht einschätzen, auf alle Fälle war es bestimmt kein Vorteil; da Amelie und ich Kopf an Kopf lagen, konnte das einen entscheidenden Einfluss haben. Was, wenn ich nicht mit offenen Karten spielte und meine Hand nicht ganz gesund wurde? Zum Unterrichten ging das trotzdem; problematisch waren die Konzerte mit dem Staatsorchester, für die man fest verplant war. Wenn ich die Stelle nicht bekam und die Hand nicht völlig heilte, hatte ich ein existenzielles Problem, denn Konzerte konnte ich dann nicht mehr geben, zumal ich für die nächsten Monate im Hinblick auf die Stelle keine Engagements angenommen hatte. Die Hand musste einfach vollständig heilen, wovon sollte ich sonst leben? Womit meine Familie unterstützen? Gut, im allerschlimmsten Fall konnte ich mich immer noch als freie Klavierlehrerin durchschlagen oder vielleicht bei der Jugendmusikschule angenommen werden, aber davon zu leben, vor allem in München, wo Mieten und Lebenshaltungskosten so teuer waren wie nirgendwo sonst in Deutschland? Am Freitag, also noch vor dem OP-Termin, war die entscheidende Runde um die Dozentenstelle. Wenn alles gut ging und ich die Zusage bekam, konnte ich Dienstag in die Klinik, dann war Weihnachten, der Vertrag begann erst im März, sodass sich die Hand bis dahin hoffentlich wieder erholt hatte. Wenn nicht, würde ich mit Professor Bruckner sprechen und ihm die Wahrheit sagen müssen. Mir war klar, dass das alles andere als richtig war und ich es ihm eigentlich sofort mitteilen müsste. Aber im Gegensatz zu Amelie hatte ich weder eine vermögende Familie im Hintergrund, noch wurde ich meistbietend verheiratet, zudem trug ich Verantwortung für Omi und das Waldhaus. Helene als alleinerziehende Krankenschwester war auch dankbar, wenn ich Maxi ab und zu bei unvorhergesehenen Ausgaben unter die Arme griff, rechtfertigte ich mich selbst, wohl wissend, dass das ein verdammt gefährliches Spiel war, das ich da trieb, und der Schuss so was von nach hinten losgehen konnte. Nur leider sah ich keinen anderen Weg. Außer Helene wusste niemand davon, und sie würde es nicht gutheißen, aber verstehen.
Mein Handy vibrierte, und sofort sah ich nach, ob es Jasper war. Natürlich nicht! Immer noch enttäuscht stieg ich an der Haltestelle Universität aus und lief in die Türkenstraße zu seinem Atelier. Einerseits plagte
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