Heute morgen und fuer immer - Roman
»Jetzt ja!«
»Dr. Weber wäre dann so weit ...«
Helene drückte meine Hand.
»Soll ich mit reinkommen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Das schaff ich alleine, aber kannst du hier warten?« Helene nickte aufmunternd, und schon war ich bei Chefarzt Weber im Zimmer, der mich sehr herzlich begrüßte. Er war groß gewachsen, ein durchaus attraktiver Mann um die Fünfzig, mit graumeliertem Haar und einem guten Teint, der nicht nach Toaster aussah, sondern hart verdienter Wanderbräune. Er schien eher der kernige Typ zu sein, der sich in seiner wenigen Freizeit gern draußen aufhielt. Er hatte nichts von dem, was man sich sonst unter arrogantem Chefarztgehabe vorstellte.
»Sie sind also die kleine Herbst. Ihre Schwester Helene ist eine bemerkenswerte Person, da habe ich natürlich gerne geholfen und Sie eingeschoben, war auch gut, dass Sie gekommen sind, etwas später wäre verheerend gewesen.«
Die Panik in meinen Augen war wohl ziemlich deutlich lesbar. »Jetzt beruhigen Sie sich erst mal. Die Schmerzen, die Sie an der linken Hand spüren, strahlen die in Daumen, Zeige- und Mittelfinger aus?«
Ja, woher wusste er das? Zustimmend nickte ich.
Chefarzt Weber schien nicht überrascht.
»Ich vermute, dass Sie an einem Karpaltunnelsyndrom leiden, das weit fortgeschritten ist und dringend operiert werden muss. Frauen sind von dieser Krankheit dreimal so oft betroffen wie Männer. Das Karpaltunnelsyndrom bezeichnet das Kompressionssyndrom des Nervus medianus im Bereich der Handwurzel. Ursachen dafür können unter anderem manuelle Arbeiten sein. Ich kenne einen hervorragenden Spezialisten, der das bestimmt gut hinbekommt. Was machen Sie denn beruflich?«
»Ich - ich bin Pianistin!«, stotterte ich. Mit einem Schlag sah Chefarzt Weber nicht mehr ganz so entspannt aus.
»Ist das ein Problem?«, fragte ich nervös.
Dr. Weber überlegte kurz, was er antworten sollte.
»Sagen wir so. Für den normalen Hausgebrauch Ihrer Hand ist es kein Problem, aber wenn jemand die Finger täglich über mehrere Stunden präzise und hochleistungsmäßig bewegen muss, kann es sein, dass sie eine Einschränkung merken, z. B. nicht mehr schnell genug spielen oder die Kraft in den Fingern nicht gezielt lenken können. Ich will Ihnen um Himmels willen keine Angst einjagen, aber es besteht das Risiko, dass Ihre Finger eingeschränkt beweglich bleiben, das muss aber nicht passieren. Lassen Sie mich kurz bei Professor Eichmüller anrufen, damit er sie sofort übernimmt. Das sollten wir nicht länger rauszögern.«
Schockgefroren sah ich zu, wie er eine Nummer wählte und einen Termin für mich ausmachte. Er schrieb Adresse und Uhrzeit auf einen Zettel und gab ihn mir. Er reichte mir die Hand und verabschiedete mich zusätzlich mit einem aufmunternden herzlichen Schulterklopfer.
»Jetzt lassen wir mal nicht den Kopf hängen, immer schön positiv denken! Und halten Sie mich bitte auf dem Laufenden, wie sich Ihr Fall entwickelt.«
Wie in Trance trat ich auf den Flur hinaus, wo Helene bereits nervös wartete.
»Und?« Sie zog fragend ihre Augenbrauen hoch.
»Karpaltunnelsyndrom!«
Stockend erzählte ich, was Dr. Weber mir mitgeteilt hatte. Helene, Meisterin im Trösten, nahm mich in den Arm. Mit einem Mal überwältigten mich meine Gefühle, und wie ein Dammbruch musste alles raus. Ich begann zu schluchzen, zu schniefen und nahm nicht mal Rücksicht auf Helenes Schwesterntracht.
»Clarilein, es wird alles gut, wirst sehen!«, flüsterte Helene und wiegte mich in ihren Armen.
»Nichts wird guuuut!«, stieß ich geschüttelt von Weinkrämpfen und nach Luft schnappend aus.
»Ich hab Valentin geküsst!«
»Was?!?«
Helene sah mich entgeistert an.
»Du meinst den Valentin, der dich angeblich hasst und den du so furchtbar arrogant und distanziert findest? Den Valentin, den ich echt sexy finde, wofür ich mir deine blöden Sprüche anhören musste?«
Ich nickte und schniefte hörbar.
Helene kramte ein Taschentuch hervor, aber man sah förmlich, wie es dabei in ihrem Kopf ratterte.
»Und was ist mit Jasper?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung, ich bin total verwirrt!«
»Ja, das wäre ich an deiner Stelle auch. Zwei Brüder, Clarine, das geht mal so gar nicht, aber das muss ich dir ja nicht sagen, sonst würdest du ja nicht weinen. Weißt du schon, was du machen willst?«
Gute Frage, nächste Frage.
Eigentlich wusste ich, dass es nur eine einzige Lösung gab. Ich musste Valentin vergessen, und wenn mir das nicht gelang und
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