Heute schon geträumt
hältst, solange ich mal auf die Toilette gehe.«
»Ach ja, meinst du?«
»Allerdings.« Er nickt. »Und ich glaube, deine Toleranzschwelle ist so hoch, dass du nicht mal daran lecken wirst, wenn es schmilzt und über deine Hand läuft.«
»Wirklich?«
»Absolut.« Lächelnd drückt er mir die Eistüte in die Hand und geht.
Beim Anblick der kleiner werdenden Gestalt schmilzt meine Verärgerung schneller als sein Eis, das in der warmen Sonne bereits über meine Finger zu sickern beginnt. Ich grinse. »Okay«, sage ich leise und fahre mit der Zunge um die Eistüte, worauf der Vanillegeschmack in meinem Mund explodiert. »Pfeif auf die Ernährungsberaterin. Ich glaube, du hast Recht.«
Wir verlassen den Park und gehen durch die engen Straßen, die nach Notting Hill und Portobello führen, den weltberühmten Markt, wo sich ein Verkaufsstand an den anderen reiht - von Blumen über alte Möbel bis hin zu Modeschmuck. Wir schlängeln uns durch die Touristenmassen, bis wir zur von Läden und Restaurants gesäumten Hauptstraße gelangen. Designerklamotten, Designerunterwäsche, Designercappuccinos … mein Blick schweift über die Fronten, bis Oliver vor einem Antiquitätengeschäft stehen bleibt.
»Ich muss nur mal kurz reinschauen«, sagt er und streckt die Hand nach dem abgenutzten Messinggriff aus. Augenblicklich beginnt Welly begeistert mit dem Schwanz zu wedeln.
In diesem Moment merke ich, dass es derselbe Laden ist, vor dem ich vor ein paar Tagen mit Vanessa gestanden und Oliver durchs Fenster gesehen habe. »Oh. Klar.« Ich nicke und folge ihm in den Laden.
Der Verkaufsraum ist mit allem möglichen Krimskrams und Schätzen vollgestopft und von einem leicht muffigen Geruch nach Pfeifentabak und Möbelpolitur erfüllt.
»Hallo, jemand zu Hause?«, ruft Oliver, während Welly herumschnüffelt und seine Nase gegen das Bein eines alten Ledersessels presst.
»Hmm, sieht so aus, als wäre keiner da. Vielleicht sollte ich mich ja mit diesem hübschen französischen Aquarell aus dem Staub machen«, sagt er leise und zeigt auf ein Gemälde. »Was meinst du?«
Ich starre ihn entsetzt an, als mir aufgeht, dass das ein Witz war. »Ha, ha, sehr lustig.«
»Nein, im Ernst.« Er sieht sich verstohlen um. »Meinst du, ich könnte es unter meinem T-Shirt verstecken?« Er greift nach dem Bild.
Oh Gott, er macht doch keinen Scherz. Entsetzt starre ich ihn an. Großer Gott, der nette Barkeeper hat sich in einen Dieb verwandelt.
Und ich bin seine Komplizin.
»Was machst du denn da?«, zische ich und versuche, ihm das Bild aus den Händen zu reißen. »Stell das wieder hin, stell das sofort -«
»Ähem.« Jemand hustet laut, und als ich aufsehe, steht ein älterer Herr mit einer Pfeife im Raum und sieht uns an.
»- wieder hin!«, ende ich und werfe Oliver einen vernichtenden Blick zu.
Verdammt. Ich stehe wie angewurzelt da, während sich meine Gedanken überschlagen. Wie konnte das passieren? Ich habe doch nur meine Uhr gesucht, und jetzt begehe ich mitten am Tag einen Diebstahl.
»Na, was haben wir denn da, Sohn?«
»Einen recht hübschen Sonnenuntergang von Claude Derbec.«
Ich schließe die Augen. Das ist zu viel. Ich wappne mich für das Unvermeidliche.
»Wann gemalt?«
»Um 1870 herum, schätze ich.«
Moment mal. Ich öffne ein Auge.
»Nicht übel, ganz und gar nicht übel.«
Ich sehe den alten Mann an. Er strahlt übers ganze Gesicht und streichelt Welly, der sich über die Aufmerksamkeit sichtlich freut und mit seiner riesigen nassen Zunge die Hand des alten Mannes bearbeitet.
»Du hast also etwas gelernt«, fährt er mit einem Hauch Stolz in der Stimme fort.
»Na ja, ich hatte schließlich einen guten Lehrer«, kontert Oliver lächelnd.
Verwirrt sehe ich zu, wie sich die beiden umarmen.
»Hallo, Opa.Wie geht es dir?«
»Opa?«, wiederhole ich völlig verblüfft.
Und sauer. Ich könnte diesen Kerl umbringen. Ohne mit der Wimper zu zucken.
Oliver sieht mich verlegen an. »Tut mir leid, ich konnte einfach nicht widerstehen. Du hättest mal dein Gesicht sehen sollen.«
Ich werfe ihm einen zornigen Blick zu.Am liebsten würde ich ihm irgendetwas an den Kopf werfen, aber angesichts all der Antiquitäten um uns herum ist das vielleicht keine ganz so gute Idee.
»Und wer ist deine Freundin da?«
»Oh, hi. Ich bin Charlotte«, stelle ich mich vor. »Freut mich, Sie kennen zu lernen.« Ich strecke ihm die Hand hin. Er packt sie und stößt in Rappermanier mit den Fingern gegen meine Knöchel.
»Opa
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