Heute schon geträumt
den vergangenen Jahren zusammen.
»Oh, ich weiß, was dich aufmuntern wird …« Lottie springt auf, kramt in einer ramponierten Tasche herum, die an der Türklinke hängt, und zieht einen Riegel KitKat heraus. »Schokolade.« Verzückt knickt sie den Riegel und reicht mir die Hälfte.
»Äh, nein, danke.« Lächelnd schüttle ich den Kopf. »Ich versuche, möglichst keine Schokolade zu essen.«
»Ernsthaft?« Sie starrt mich fassungslos an. »Gott, kein Wunder, dass du deprimiert bist.«
Und plötzlich geht mir ein Licht auf. Unsere Rollen sind vertauscht. Nicht mehr ich erteile meiner jüngeren Ausgabe Ratschläge, sondern umgekehrt. Und mir wird klar, dass ich kein bisschen schlauer bin als sie. In einigen Punkten, ja, vielleicht - mein Blick fällt auf ihren gruseligen Silberlidschatten -, aber bei weitem nicht in allen.
Das Alter und die Erfahrung haben keine weise Beraterin aus mir gemacht, sondern eine von Ängsten gebeutelte, angespannte Frau von Anfang dreißig, die sich um alles und jeden Sorgen macht. Deren Leben vollständig aus den Fugen geraten ist. Die vergessen hat, wie man sich amüsiert. Und die ihre gesamte Freizeit damit zubringt, Ratgeber zu lesen und sich selbst zu finden, wo sie in Wahrheit direkt vor ihrer eigenen Nase steht, denke ich beim Anblick der schlauen, selbstsicheren, temperamentvollen Lottie.
Also ehrlich, worüber habe ich mir eigentlich Gedanken gemacht? Sie wird alles ganz hervorragend meistern. Ich kann sie nicht in Watte packen, kann nicht verhindern, dass sie Fehler macht, ebenso wenig, wie ich verhindern konnte, dass sie sich mit Billy Romani einlässt und damit das Unvermeidliche passieren wird. Aber das will ich auch gar nicht. Wie heißt es immer so schön? »Was einen nicht umbringt, macht einen nur stärker.« Und, ja, sie hat harte Zeiten vor sich, aber sie wird es schon schaffen.
Ich werde es schon schaffen.
Aber es stimmt: Etwas Wichtiges hat in meinem Leben tatsächlich gefehlt. Ich habe mein Leben verpasst. Ich habe aus den Augen verloren, wer ich wirklich bin. Ich habe mich selbst verloren. Und hier, in diesem chaotischen WG-Zimmer, habe ich mich wiedergefunden.
»Obwohl … gib mir ein Stück von diesem KitKat.«
Und meine Schwäche für Süßigkeiten.
Der KitKat-Riegel ist erst der Anfang, denn ich habe Bärenhunger. Lottie bietet mir freundlicherweise einen Topf Instantnudeln an, den ich jedoch ablehne. Ich mag in jüngeren Jahren von vielen Dingen eine Ahnung gehabt haben, aber Ernährung gehört eindeutig nicht dazu.
Stattdessen schlage ich vor, ins Wellington Arms zu fahren und dort etwas zu essen. Auf meine Rechnung.
Was nach einer tollen Idee aussieht, bis wir den Pub betreten und ich den jungen Olly sehe. Nach allem, was vorgefallen ist, habe ich völlig vergessen, dass er ja hier arbeitet. Sein Anblick beschwört augenblicklich die Erinnerung an meinen Streit mit Oliver herauf.
Beklommen trete ich an die Bar.
»Hey, wie geht’s?«, begrüßt er mich lächelnd. »Charlotte, nicht? Wir haben uns vor ein paar Tagen im Canal Club kennen gelernt.«
»Stimmt. Hi, Olly.« Ich lächle verlegen. Schon seltsam, ihn jetzt so freundlich zu sehen, wo er gerade noch in meiner Wohnung gestanden und mich angeschrien hat.
»Und wie läuft’s so?«, erkundigt er sich gut gelaunt, und als ich in seine mittlerweile vertrauten hellgrauen Augen blicke, spüre ich ein Ziehen in der Magengegend.
»Prima.« Ich ringe mir ein fröhliches Lächeln ab, während meine Stimmung noch trübseliger wird. »Und bei dir?«
»Oh, mir geht’s gut.« Er nickt, hält inne und spielt an seinen geflochtenen Freundschaftsarmbändern herum, als hätte er etwas auf dem Herzen. »Äh, ich wollte dich um einen Gefallen bitten«, sagt er schließlich und sieht mich an.
»Klar. Alles, was du willst.«
Alles, was dafür sorgt, dass zwischen dir und mir wieder alles in Ordnung kommt, denke ich und spüre, wie mich die Last meiner Gewissensbisse zu überwältigen droht.
»Na ja, die Sache ist die«, beginnt er und schluckt. »Ich koche morgen Abend für ein paar Freunde und wollte Lottie dazu einladen. Meinst du, sie kommt?«
Er lächelt nervös und sieht mich hoffnungsvoll an. Und ich weiß, hier und jetzt, dass das meine zweite Chance ist. Mag sein, dass ich alles vermasselt habe, aber das muss nicht bedeuten, dass Lottie das auch tut.
»Natürlich kommt sie«, beruhige ich ihn.
»Ehrlich?« Er errötet vor Freude. »Meinst du?«
»Überlass das mir.« Ich lächle. »Gib
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