Heute Und in Ewigkeit
Tür. »Sag mal, haben wir uns gestern Abend ganz besonders die Kante gegeben, oder werden wir allmählich zu alt zum Trinken?«, fragte sie.
Valerie hatte sich heute Morgen nicht die Mühe gemacht, sich zu frisieren, sondern ihre Locken nur zu einem halbherzigen Knoten hochgesteckt. Ich bewunderte ihre Fähigkeit, zwischen normal und wunderschön hin- und herzuwechseln. Wenn sie müde war, scherte sie sich einen Dreck um ihr Äußeres. Sie bemalte und besprühte sich nur an den Tagen, wenn sie den Ehrgeiz hatte, schön auszusehen. Wenn du ein Problem mit mir hast, ist das dein Problem , lautete Valeries Motto.
Was war eigentlich mein Motto? Jedenfalls nicht in vino veritas , denn ich betrank mich mindestens zweimal wöchentlich mit Valerie, kam der Wahrheit aber nicht näher als bis zu dem falschen Geständnis, ich hätte einen Onkel, der in New York im Gefängnis säße. Fabulieren für den Frieden , das war mein Motto.
Ich hielt den Zeigefinger hoch, um Valerie zu bedeuten, sie möge einen Moment warten, und hörte die letzte Nachricht noch einmal ab.
Hier ist Michael Epstein. Mal wieder. Bist du bereit, uns noch eine Chance zu geben? Wenn ja, möchte ich dich einladen, mit mir nach New York zu fahren. Ich muss da zu einem Kongress. Wir wohnen im Waldorf. Wie wäre das? Bereit für einen Ausflug in eine andere Welt? Ruf mich an. Ich kaufe dir auch ein schickes Kostüm für New York. War natürlich nur Spaß. Na ja, eigentlich nicht. Ich würde dich liebend gern fürchterlich verwöhnen. Also noch mal, bitte ruf mich an.
Ich spielte Valerie die Nachricht laut vor. »Sollte ich jetzt beleidigt sein?«, fragte ich. »Glaubst du, Drew hat ihn dazu angestiftet?«
»Kann sein. Nachdem er dich heute Morgen gesehen hatte, hat er bestimmt einen Notruf an den Augendoktor abgesetzt. Bitte nimm meine Schwägerin, ich bezahle dich auch dafür! Aber du solltest trotzdem mitfahren.«
Ich zog einen breiten neonfarbenen Strich durch den Namen des letzten Klienten, der absagte. »Warum?«
»Du hast ihm eigentlich gar keine richtige Chance gegeben. Dieser Schmuddeltyp, den du gestern Abend beinahe mit nach Hause genommen hättest, würde dich jedenfalls nicht ins Waldorf einladen.« Valerie reckte sich über den Tisch, nahm meine Kaffeetasse und trank schlürfend einen Schluck.
»Schmuddeltyp? Der Kerl war süß.« Ich nahm Valerie die Tasse weg. »Sieh dir das an, du hast überall Lippenstift drangeschmiert.«
»Das ist doch nur Lippenstift und kein Herpeskonzentrat. Süßes Gesicht, schmuddelige Seele. Außerdem, was hat man denn schon von süß? Das war ein gealterter Student, der in einer Bar herumhing.«
»Und wir waren zwei gealterte Frauen, die in einer billigen Bar herumhingen. Wozu macht uns das also?«
»Abartig verzweifelt. Der Doktor war sicher toll im Bett?« Valerie schwang die Beine hoch und legte die zerschrammten Turnschuhe auf meinen Schreibtisch.
»Jack the Ripper war vermutlich auch gut im Bett«, sagte ich. »Das sind die schlimmsten Männer immer.«
»Eine Menge lausige Männer sind auch lausige Liebhaber. Glaub mir, das weiß ich besser als du.«
»Meinst du?« Ich schob die Unterlagen auf meinem Schreibtisch herum und rückte den Stapel mit dem Vermerk »dringend erledigen« näher ans Telefon.
»Willst du einen Wettbewerb anfangen, wer von uns mit mehr lausigen Liebhabern im Bett war?«
Mein Kopfschmerz begann zu pochen, und ich legte die Stirn auf die kühle Schreibtischplatte. »Nein. Das will ich nicht in meiner Lebensakte stehen haben als einzigen Wettbewerb, den ich je gewonnen habe.«
Dreißig Minuten später hallte Valeries schmerzhafte Offenheit immer noch in mir nach, und ich sprach Michael auf den Anrufbeantworter, dass ich seine Einladung annehmen wolle. Danach nahm ich so viele Kopfschmerztabletten, wie nötig waren, um den Termin mit Victor Dennehy zu überstehen. Er stolzierte herein, als erwartete er von mir, dass ich mich hinlegte, die Beine breit machte und schon mal zu stöhnen begann. Seine Hose hing so tief, dass ich den blassen unteren Teil seines Rückens sehen konnte.
»Hi, Mizzz Zachariah. Ich bin pünktlich, hm?«
Noch so einer, für den es der Gipfel des Erfolges war, pünktlich zu erscheinen. Victor lächelte mich selbstzufrieden an und lümmelte breitbeinig auf dem Stuhl vor meinem Schreibtisch.
»Aufrecht sitzen, Victor.«
»Sind Sie meine Bewährungshelferin oder so eine Manierentante?«
»Soweit es Sie angeht, beides. Wenn Sie zu einem
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