Heute Und in Ewigkeit
schlabberten, und ließ sich das hellbraune Haar immer länger wachsen – wenn es heiß wurde, band sie es einfach mit einem blauen Tuch zurück. Als Mrs. Cohen Lulu sagte, die richtige Frisur würde ihre wunderbaren Gesichtszüge zur Geltung bringen , hatte sie erwidert, dass auf College-Bewerbungen kein Foto nötig sei, aber sie wisse die Idee zu schätzen. Später, als wir allein waren, behauptete Lulu zornig, Mrs. Cohen hätte damit eigentlich sagen wollen, dass Lulu unansehnlich sei und Hilfe brauche.
»Na los, wir warten«, sagte Saul.
»Ich fange an«, sagte seine Frau Amy.
Doktor Cohen nickte und lächelte. Jeder konnte spüren, dass Amy sein Liebling war. »Nur zu, meine Liebe.«
»Ich bin für so vieles dankbar.« Amy ließ den Blick in die Runde schweifen. »Ich bin dankbar dafür, dass Mom und Dad so gut für alle sorgen.«
Amy lächelte Lulu und mich vielsagend an. Mein Lächeln fühlte sich an, als gehörte es zu einer dieser unheimlichen mexikanischen Allerheiligen-Puppen, die wir in der Schule durchgenommen hatten. Lulu verschränkte die Hände und stützte das Kinn darauf.
»In dieser Zeit der Not, der Kriege zwischen Ländern, Rassen und Kulturen bin ich dankbar für diesen sicheren Hafen.« Amy lächelte schüchtern, als sie sich Saul zuwandte, der ihr Kind im Arm hielt. »Vor allem bin ich dankbar für meinen Mann und unser wunderschönes Baby.«
Überall am Tisch breitete sich zustimmendes Lächeln aus, außer bei Eleanor natürlich. Ich hatte selbst gehört, wie sie Amy eine falsche, kleine Schleimerin genannt hatte, zu gut, um wahr zu sein. Eleanor war einfach zu böse, um zu erkennen, dass es gut überhaupt gab. Amy und Mrs. Cohen waren beide gut, obwohl ich Amy auch nicht ausstehen konnte. Lulu nannte sie die guten Liberalenfeen.
Mrs. Cohen zu verteidigen, war inzwischen mein Job.
Rachel schmiegte sich an Eleanors Brust und flüsterte.
»Rachel hat etwas zu sagen«, verkündete Eleanor.
»Was denn, Schätzchen?« Mrs. Cohen beugte sich vor, als würde sie gleich eine Million Dollar geschenkt bekommen.
»Ich bin dankbar für Mommy und Daddy. Und dass ich nicht in eine Pflegefamilie muss.«
Ich krallte die Finger um die Kante der steifen weißen Tischdecke.
Im Raum wurde es völlig still. Schließlich räusperte sich Doktor Cohen und sagte: »Wir sind dankbar dafür, Lulu und Merry ein Zuhause geben zu können. Das ist uns eine große Freude. Ihnen ein Vater zu sein, ist zum jetzigen Zeitpunkt eine Bereicherung in meinem Leben.«
Lulu sah mich mit einem Blick an, der sagen sollte: Siehst du, was ich meine.
»Wofür seid ihr beide denn dankbar?«, fragte Amy.
Ich presste die Lippen zusammen und betete, Lulu möge das Reden übernehmen, damit sie mich in Ruhe ließen. Ich sah meine Schwester mit flehentlich aufgerissenen Augen an. Lulus Schultern sanken genervt herab. Also gut. Sie faltete wieder die Hände vor sich und lächelte mich schief an, als wollte sie sagen: Schön, du hast es so gewollt.
»Ich bin dankbar dafür, dass der Krieg vorbei ist und auf uns nie Napalmbomben geworfen wurden. Ich bin dankbar dafür, dass ich nicht in Äthiopien verhungere. Ich bin dankbar dafür, dass ich nicht in den Appalachen leben muss, mit krummen Beinen von der Rachitis.« Sie hielt inne und lächelte. »Ach ja, und ich bin dankbar dafür, dass ich hier aufgenommen wurde. Vielen Dank, Familie Cohen.«
Doktor Cohen sog scharf den Atem ein. »Dein soziales Gewissen ist ein Segen, Lulu, aber ich hoffe doch sehr, dass du eines Tages erkennen wirst, warum man Ethik und hohe Prinzipien am besten respektvoll vertritt.«
Lulu gab einen knurrenden Laut von sich.
»Hast du dazu etwas zu sagen, Lulu?«, fragte Doktor Cohen.
Mrs. Cohen unterbrach ihn. »Paul, schneide jetzt bitte den Truthahn an.«
»Ich möchte das kurz vertiefen, Anne.« Doktor Cohen beugte sich vor. »Bist du mit unseren Werten nicht einverstanden, Lulu?«
Warum musste Doktor Cohen sie in Verlegenheit bringen? Lulu starrte auf die Tischdecke und schob die Arme unter den Tisch, vermutlich um so etwas wie fick dich auf ihren Arm zu schreiben. Ich hatte das Gefühl, dass meine Haut gleich platzen würde, so viele heiße Worte strömten durch meinen Körper.
»Ich bin sicher, dass es hier irgendetwas gibt, wofür du danken könntest. Oder zumindest dankbar sein«, fuhr Mr. Cohen fort. »Findest du denn an unseren Werten gar nichts, das dir erträglich erscheint?«
»Paul«, sagte Mrs. Cohen warnend.
»Es tut mir leid, Anne,
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