Heute Und in Ewigkeit
los?«
»Ich soll mich engagieren, wenn irgendwelche Arschlöcher uns kleine Theaterstücke aufführen lassen? Verdammt, Miss Zach, wie soll ich mit einem Haufen weißer Leute reden und so tun, als wären das meine Jungs?«
»So was nennt man Rollenspiele. Es soll Ihnen dabei helfen zu lernen, schwierige Situationen in den Griff zu bekommen.«
»Das weiß ich. Glauben Sie vielleicht, ich weiß das nicht? Außerdem habe ich die Situation im Griff, oh ja.« Jesse legte eine Hand an die Hüfte, als wollte er eine Schusswaffe andeuten.
»Was? Versuchen Sie etwa, mich einzuschüchtern, Jesse?« Ich ließ die Akte fallen und legte beide Hände flach auf den Tisch. »Wir haben eine Menge Zeit investiert. Wenn Sie das alles wegwerfen wollen, brauchen Sie es nur zu sagen.«
Jesse lehnte sich zurück, streckte die Beine aus und schmollte wie Ruby oder Cassandra. »Ich hasse die Typen. Sie zwingen uns, über blöden Scheiß zu reden.«
»Was denn für blöde Sachen ?«
»Unsere Mütter. Unsere Väter. Jetzt seien Sie mal ehrlich. Glauben Sie, diese Leute haben eine beschissene Ahnung davon, was sie da machen?«
»Wie bitte?«, fragte ich.
»Glauben Sie, die wissen, was zum Kuckuck sie da machen?«
Er nahm einen Kugelschreiber von meinem Tisch und klickte damit herum, bis ich ihm den Stift aus der Hand nahm. »Jesse, das Gericht hat dieses Programm für Sie angeordnet. Was ich davon halte oder auch nicht, spielt keine Rolle. Es kommt nur darauf an, dass der Richter sieht: Sie tun, was Sie tun sollen. Es kommt darauf an, dass Sie nüchtern bleiben. Vor allem aber kommt es darauf an, dass Sie Ihren GED -Test ablegen, damit Sie einen Schulabschluss nachweisen können. Und bei keinem dieser Punkte sehe ich irgendwelche Fortschritte.«
Jesse scharrte mit den offenen Turnschuhen auf dem Boden.
»Binden Sie sich die Schuhe zu. Wenn Sie hierherkommen, will ich, dass Sie anständig aussehen. Neue Bewährungsregel – Schuhe immer zugebunden. Wenn ich Sie hier irgendwo noch mal mit offenen Sneakers herumlaufen sehe, bringe ich Sie sofort wieder zu Richter Jackson.«
Ich atmete meine Frustration aus, während ich auf meinen nächsten Klienten wartete. Verflixter, dämlicher Kerl, klug, witzig, begabt. Seine schriftlichen Arbeiten, die Hausaufgaben, die DanGerUs No More mir geschickt hatte, zeigten ein gewaltiges, wenn auch ungeschliffenes Talent. Er konnte ans College gehen, wenn er seinen GED schaffte, und es dann zu Gott weiß was bringen.
Vor allem möchte ich mich bei meiner Bewährungshelferin bedanken, Ms. Zachariah. Ohne sie würde ich im Gefängnis verfaulen. Der Oscar für das Beste Drehbuch geht ebenso an sie wie an mich.
Endlich zu Hause, machte ich mich für meine Verabredung fertig. Die Augen umrahmte ich mit dickem blauen Eyeliner. Vielleicht nicht die dezenteste Wahl, aber ich fühlte mich heiß, wenn meine dunklen Augen kobaltblau umrandet waren. Ich schaute gern in den Spiegel. Ich hätte mich küssen können, wenn ich so gut aussah.
Das sollten Frauen eigentlich nicht tun. Angeblich heißt es doch von uns ständig Ach, ich bin zu dick und Nein, wirklich, schau, meine Augen stehen viel zu eng , aber mein Aussehen war meine einzige zuverlässige Quelle des Trostes. Ich befürchtete, dass ich schon über das Verfallsdatum hinweg daran festgehalten hatte, daher sorgte ich mich ständig um meine Haut, mein Haar oder mein Profil und stocherte daran herum wie ein Kind mit einem halb zerrissenen Teddybären. Ich würde noch als eine dieser verlebten alten Frauen enden, die mit lakritzschwarz gefärbtem Haar und erdbeerrotem Krümel-Rouge auf den faltigen Wangen herumliefen.
Es klingelte an der Tür. Der Ophthalmologe. Ich griff nach dem Glas Wein, das gefährlich auf dem Waschbeckenrand balancierte, und trank den letzten Schluck. Dann zog ich mir ein seidenes Top mit Spaghettiträgern über den Kopf, überprüfte sorg fältig den Ausschnitt und schlüpfte in meine Jeans. Ich drehte mich zur Seite, um festzustellen, ob ich immer noch damit durchkam, keinen BH zu tragen.
Scheiß drauf. Warum sollte der Ophthalmologe nicht ein bisschen was zu sehen bekommen?
Bis wir von meiner Wohnung aus das Restaurant erreichten, das er ausgesucht hatte, konnte ich feststellen, dass Michael Epstein, der Augendoktor, eine amerikanische Flagge am Heck seines Autos kleben hatte, einen Anzug trug, der allem Anschein nach etwa zehntausend Dollar gekostet hatte, und vermutlich glaubte, eine US-Invasion so ziemlich jedes Landes sei
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