Hex Hall 02 - Hawkins, R: Hex Hall 02
ab.
12
Den Rest des Tages verbrachten Jenna und ich damit, Thorne Abbey zu erkunden. Doch obwohl wir stundenlang durch die Räumlichkeiten und Flure stromerten, bekamen wir nicht einmal ansatzweise alles zu sehen. Jeder einzelne Raum war mit bizarren, eingestaubten Schätzen gespickt: in einem Schlafzimmer entdeckten wir fünf komplette Ritterrüstungen, ein anderes war bis obenhin mit ausgestopften Tieren angefüllt. Ich erzählte Jenna von meiner E-Mail an Mrs Casnoff, worüber sie sich zu freuen schien, und bezahlte meine Wettschulden.
Zum Mittagessen servierte uns Lara Sandwiches im Musikgarten – was sich als ein großer, sonnendurchfluteter Wintergarten mit bestimmt tausend Palmfarnen entpuppte, in dem das größte Klavier stand, das ich jemals gesehen hatte. Lara sagte uns, dass sie bereits mit Dad gesprochen habe und wir seine Erlaubnis hätten, mit Nick und Daisy ins Dorf zu gehen.
»Aber«, fügte Lara mahnend hinzu, »Sie müssen um Mitternacht wieder zu Hause sein und dürfen auch wirklich nur ins Dorf. Alles, was über die Dorfgrenzen hinausgeht, ist strikt verboten.«
Jap, das klang ganz nach Dad. »Wie viel weiter können wir denn auch schon gehen?«, fragte ich Jenna, sobald Laura verschwunden war. »Schließlich hocken wir hier doch am Ende der Welt.«
Das sollte ich schon bald herausfinden. Um acht Uhr waren wir mit Nick und Daisy am Hintereingang verabredet, wo immer das auch sein mochte. Um Viertel vor acht tuschte ich mir im Badezimmer noch eben die Wimpern, als Jenna in einem Outfit hereinkam, das nur als Hello Kitty goes Goth zu beschreiben war.
»Ist das nicht ein bisschen übertrieben für einen einfachen Dorfspaziergang?«, fragte ich mit Blick auf ihre heißen, pinkfarbenen Go-go-Stiefel.
Sie schloss hinter sich die Tür und hüpfte rücklings auf den Waschtisch. »Wir gehen nicht ins Dorf«, erwiderte Jenna. »Ich hab Daisy noch mal gefragt. Sie nehmen uns mit nach London.«
Beinahe hätte ich mir mit dem Mascara-Bürstchen ein Auge ausgestochen. »Die Fahrt nach London dauert gut drei Stunden. Sollen wir etwa ein Auto klauen oder so was in der Art?«
Jenna schüttelte den Kopf. »Sophie, wann wirst du wohl endlich anfangen, daran zu denken, dass wir magische Kräfte haben? Wir fahren nicht, wir … hm, ich hab zwar keine Ahnung, wie wir nach London kommen, aber … du weißt schon, eben mit …« Sie wedelte mit den Händen in der Luft. »Maaaaaagie.«
»Toll«, murmelte ich und kramte einen Lipgloss aus meinem Schminktäschchen. Mein Magen schlingerte nervös. Falls Daisy von mir erwartete, dass ich irgend so einen genial dämonischen Reisezauber wirkte … tja, wohl kaum. »Warum eigentlich London?«
Jenna grinste. »Da gibt es wohl einen Club, nur für Prodigien. Daisy meint, der Laden sei große Klasse.«
Hm. Ein Club nur für Prodigien? Das beschwor in mir Bilder herauf: von noch mehr Samt und Trockeneis und Angst, als ich heute Abend ertragen konnte.
»Ich weiß nicht so recht«, sagte ich. »In meinen Ohren klingt das nach ziemlich weit über die Dorfgrenze hinaus .«
»Ja, schon, aber wenn wir mehr über Daisy und Nick erfahren wollen …«
»Ich weiß. Und es ist wirklich so was von ätzend, wenn du recht hast. Aber trotzdem, Cal wird sich garantiert nicht darauf einlassen.« Ich hoffte, dass die ganze Sache damit vom Tisch wäre.
Jenna sah mich verwirrt an. »Cal kommt nicht mit.«
»Was? Warum denn nicht?«
Sie zuckte die Achseln. »Irgendein botanischer Notfall, um den er sich kümmern musste. Offenbar gibt es hier erheblich mehr kranke Pflanzen, als er dachte.«
»Pöh«, sagte ich bloß und widmete mich wieder meinem Spiegelbild.
»Aber, aber, Sophia Mercer! Ist das etwa Enttäuschung, die ich da mit meinen superbesonderen Vampirkräften wahrnehme?«
»Nein, ich … ich wünschte nur, er wäre hergekommen, um es mir selbst zu sagen.«
»Ach ja?«, erwiderte Jenna, vor Selbstgefälligkeit triefend. »Und dieses tief ausgeschnittene Shirt und die hochhackigen Stiefel hast du natürlich nur mir zuliebe angezogen, nicht wahr?«
Ich warf eine Puderdose nach ihr. »Niemand mag neugierige Vampire, Jenna.«
Als wir endlich unten ankamen, warteten Nick und Daisy bereits an der Hintertür auf uns. Nick bedachte mich mit einem säuerlichen Blick, sagte jedoch nichts.
»Ich geh davon aus, dass Jenna dich in unsere Pläne für heute Abend eingeweiht hat, ja?«, fragte Daisy flüsternd. Ihre grauen Augen waren mit Kajal umrahmt und glitzerten
Weitere Kostenlose Bücher