Hex
nach Nürnberg reisen, und er wollte, daß ich mitkomme. Ich könnte auf keinen Fall allein in Berlin bleiben, jetzt wo Max nicht da sei.« Sie machte eine kurze Pause und überlegte. »Das war seltsam, denn Max wohnt ja schon seit ein paar Jahren nicht mehr bei uns im Haus, und ich war oft allein. Das hat meinen Vater nie gestört. Bis gestern – oder vorgestern.«
»Kann es sein, daß Ihr Vater auf irgendeinem Weg von dem geplanten Anschlag auf Max erfahren hat? Meinte er das vielleicht, als er sagte, Max sei ›nicht mehr da‹?«
Evelinas Stimme klang plötzlich zornig. »Sie wollen behaupten, mein Vater hätte damit zu tun? Mit einem Mordanschlag auf Max? Das kann nicht Ihr Ernst sein!«
»Nein, nein«, beschwichtigte Sina sie. »Nicht direkt mit dem Mord. Aber er könnte davon erfahren haben. Vielleicht war er deshalb so aufgeregt.«
»Möglich, so könnte es gewesen sein. Wir fuhren sofort zum Flugplatz. Mein Vater besitzt eine Privatmaschine. Damit flogen wir nach Nürnberg.« Sie verstummte, als mache ihr die Erinnerung immer noch zu schaffen.
»Was geschah dann?« fragte Sina.
»Wir wurden erwartet. Gleich nach der Landung nahm uns die Schwarze Reichswehr fest. Ich habe versucht, mich zu wehren, aber einer von denen schlug mir ins Gesicht. Als Vater ihn anbrüllte, wurde auch er geschlagen.« Sie beugte sich im Dunkeln vor und strich liebevoll über das Haar ihres Vaters.
Sina fürchtete, das Mädchen würde erneut in Tränen ausbrechen, deshalb fragte sie schnell: »Und dann brachte man Sie zur Burg?«
»Ja. Nicht gleich in diesen Turm, aber auf die Burg.«
Näherkommende Schritte unter der Falltür ließen sie verstummen. Jemand machte sich am Schloß zu schaffen. Dann schwang die Klappe nach oben. Das Licht blendete die beiden Frauen, aber schließlich erkannte Sina unten auf der Treppe mehrere Männer in schwarzer Uniform.
»Frau Zweisam?« sagte einer. »Bitte folgen Sie uns.«
Sie lachte böse auf. »Seit wann so höflich?« spie sie ihnen entgegen.
»Kommen Sie mit«, beharrte der Soldat.
Sina stand auf. Es hatte keinen Zweck, sich stur zu stellen. Man hätte sie doch nur mit Gewalt aus dem Turmzimmer gezerrt.
Evelina packte ihre Hand. »Gehen Sie nicht mit denen. Die werden Sie...«
Sina schnitt ihr sanft das Wort ab. »Das wollen wir doch nicht hoffen, oder?« Tatsächlich aber war ihr keineswegs zuversichtlich zumute, und sie fürchtete, daß man ihr das im hellen Licht ansehen würde. Sie straffte sich und gab sich Mühe, eine möglichst gleichgültige Miene aufzusetzen. Wenigstens den Triumph, sie zu brechen, wollte sie den Männern nicht gönnen.
»Wohin bringen Sie mich?« fragte sie, als sie durch die Falltür auf die obersten Treppenstufen trat.
Die Soldaten blieben stumm.
Sina hörte, wie Evelina ihr die Antwort zurief, kurz bevor die Klappe über ihr zuschlug.
»Zu Zacharias!« rief das Mädchen ihr aufgelöst hinterher. »Die bringen Sie zu Zacharias!«
Kapitel 3
Das Mysterium entwirrte sich auch dann nicht, als Max eine Entdeckung machte. Ganz im Gegenteil: Alles wurde noch verwirrender, noch rätselhafter.
Er war nicht sicher, wie tief er sich wirklich im Berg befand; sechs oder sieben Stockwerke unterhalb der Burgebene, schätzte er. Zugleich aber war er sich bewußt, daß er im Gewirr der Stollen und Treppen allmählich die Orientierung verlor. Immer wieder mußte er Patrouillen ausweichen, und gelegentlich kamen ihm Männer und Frauen in weißen Kitteln entgegen. Als er einige von ihnen belauschte, hörte er, wie sie sich über Legierungen und Kunststoffe unterhielten.
In einem engen Korridor, ein wenig abseits der übrigen, stieß er schließlich auf eine schwere Eichentür, auf die jemand mit gelber Farbe das Wort »Gefahr!« geschrieben hatte. Aus dem Inneren ertönte ein leises Wimmern.
Max schaute sich vorsichtshalber ein weiteres Mal um, dann schob er langsam den Riegel beiseite. Die Tür schwang schwerfällig nach innen. Die Scharniere knirschten, als sei Sand hineingeraten. Im Raum dahinter war es stockdunkel.
Das Wimmern brach ab.
»Hallo?« Max hatte die Tür nur einen Spalt weit geöffnet und spähte angestrengt in die Finsternis. Irgendwer war hier eingesperrt, ein Gefangener wie er selbst. »Larissa?«
Ein abgehacktes Schnaufen ertönte. Es klang nicht so, als hätte Larissa es ausstoßen können.
»Ich will Ihnen helfen«, flüsterte Max.
Etwas regte sich in der Dunkelheit. Seine Vorsicht hielt Max davon ab, die Zelle zu betreten. Warum
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