Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
damit nicht gerechnet, verlor seinerseits das Gleichgewicht, und gemeinsam stürzten die beiden Männer über die Kante. Der dritte Soldat blickte fassungslos hinterher.
    Max nutzte das Zögern des Mannes und lief die nächsten Stufen hinunter. Dort lag der verlorene Revolver. Max riß die Mündung hoch und drückte ab. Die Kugel traf den Soldaten in die Schulter. Mit einem Schmerzensschrei brach er zusammen, war aber geistesgegenwärtig genug, sich nach rechts fallenzulassen. Blutend sank er auf den Stufen zusammen und blieb sitzen, eine Hand gegen die Wunde gepreßt.
    Sein Vorgesetzter begann zu toben, riß seinerseits die Waffe aus dem Holster und legte auf Max an.
    Max aber war schneller. Zweimal drückte er ab, und beide Kugeln trafen. Ohrenbetäubend hallten die Schüsse im Treppenschacht wider. Der Mann am oberen Absatz schrie auf, fiel nach hinten und verschwand aus Max’ Blickfeld.
    Max ließ den Verwundeten auf der Treppe sitzen und rannte, so schnell es die engen Stufen zuließen, tiefer hinab in den Berg. Die Schüsse mußten weithin zu hören gewesen sein. Bald würde es hier von Schwarzer Reichswehr wimmeln.
    Er erreichte das untere Ende der Treppe. Der Korridor gabelte sich. Der linke Gang war abschüssig, der rechte verlief seicht nach oben. Max wandte sich nach links.
    Irgendwo dort unten, das wußte er, erwarteten ihn alle Antworten.
    Und mit ihnen, so hoffte er, Larissa.
     
    In der Dunkelheit kauerte eine Frau. Sina konnte den weißen Rocksaum erkennen und zwei helle Schnürschuhe aus Leinen mit hohem Lederabsatz. Saum und Schuhe wurden von dem schmalen Lichtstreifen beschienen, der durch einen Spalt in der Falltür im Boden fiel. Die Fenster waren von innen mit Brettern und schwarzem Stoff abgedichtet; die Latten waren zu fest vernagelt, als daß Sina sie mit bloßen Händen hätte herabreißen können. Unten auf der Treppe klapperten die Stahlkappen der Soldaten davon, die sie hierher eskortiert hatten. Der Raum befand sich im Obergeschoß eines Turmes. Um hierher zu gelangen, hatten die Soldaten sie durch eine hohe, düstere Kapelle geführt.
    Im fahlen Schein des Lichtstrahls erkannte Sina an den Wänden des Turmzimmers kunstvolle Steinplastiken, kaum mehr als vage Schemen im Halblicht: sitzende Gestalten, Gesichter und eine Vielzahl kauernder Löwen.
    »Warum hat man Sie hierhergebracht?« fragte Sina und machte einen Schritt auf die Frau am Boden zu. Sie konnte im Dunkeln ihr Gesicht nicht erkennen.
    Die Füße zuckten aus dem Lichtschein, als hätten sie bereits zu viel über ihre Besitzerin verraten.
    »Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte Sina behutsam. »Ich tue Ihnen nichts. Ich bin hier ebenso eingesperrt wie Sie.« Sie ging in die Hocke, um auf einer Höhe mit der Frau am Boden zu sein. »Darf ich näher kommen?«
    »Bleiben Sie, wo Sie sind«, entgegnete eine junge Stimme. Sie klang verstört und ängstlich, als hätte sie eben noch geweint.
    »Ich will Ihnen doch nichts antun«, wiederholte Sina. »Sind Sie verletzt?«
    »Ich nicht«, kam zaghaft die Antwort. »Aber hier ist noch jemand bei mir. Er ist bewußtlos.«
    »Wurde er verwundet?«
    »Sie haben ihn geschlagen, immer weiter, bis er ohnmächtig wurde.« Die Erinnerung ließ sie abermals aufschluchzen.
    »Ich könnte ihn abtasten«, bot Sina an. »Vielleicht sind irgendwelche Knochen gebrochen.«
    »Nein!« Die Stimme schnitt scharf durch die Dunkelheit. »Fassen Sie ihn nicht an! Und mich auch nicht!«
    »Glauben Sie wirklich, ich gehöre zu denen?«
    »Sie wären nicht die erste.«
    Sina verstand nicht, was die junge Frau meinte, fragte aber nicht weiter. Statt dessen setzte sie sich auf den eisigen Boden. Der Lichtstreifen trennte die beiden Frauen wie ein glühender Spalt im Gestein.
    »Gibt es hier unten Wasser?« wollte Sina wissen.
    »An den Wänden.«
    »Ich würde mich gerne waschen.«
    Zum ersten Mal gab die junge Frau ein wenig von ihrer Gleichgültigkeit auf. »Haben die Sie... ich meine...«
    »Vergewaltigt? Nein.« Sie rümpfte die Nase. »Die Soldaten haben sich sehr korrekt verhalten.« Plötzlich erschrak sie. »Sie etwa?«
    »Nein. Aber ich würde es diesen Schweinen zutrauen.«
    »Wer ist der Mann da bei Ihnen?«
    Zögern, dann: »Sie sind wirklich keine von denen, nicht wahr?«
    »Ich versprech’s Ihnen.«
    »Er ist mein Vater.«
    »Ihr Vater?« fragte Sina überrascht, und zugleich kam ihr eine Ahnung. »Warum hat man Sie hierhergebracht?«
    »Ich weiß es nicht.« Es klang aufrichtig. »Mein Vater

Weitere Kostenlose Bücher