Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
aber es wirkte übernervös und gespielt. »Nichts weiter, als die Welt zu retten.«
    Sie lachte voller Zynismus auf. »Genau das war mein erster Gedanke, als ich Sie wiedersah, Zacharias – daß Sie hier sind, um die Welt zu retten! Wie ungemein edel von Ihnen.«
    »Machen Sie sich nur lustig«, sagte er, und diesmal klang es, als erfüllten ihn ihre Worte mit ehrlichem Bedauern. »Ich hoffe, Sie werden Ihre Meinung noch ändern. Wenngleich – im Grunde ist es gleichgültig. Nichts, was geschieht, kann etwas an dem ändern, was getan werden muß. Die Zeiten, in denen wir eine Wahl hatten, sind lange vorbei.«
    Den Rest des Weges gingen sie schweigend. Irgendwann erreichten sie das untere Ende der Wendeltreppe und blieben vor einer morschen Holztäfelung stehen. Eine nackte Glühbirne erfüllte die winzige Kammer mit fahlgelbem Licht. Zacharias berührte irgendwelche Teile der Wand, die Sina in den Schatten nicht erkennen konnte. Das Holz glitt knirschend zur Seite, ein schmaler, kaum brusthoher Durchgang entstand. Gebückt kletterten sie der Reihe nach hindurch und betraten einen Korridor, der mit groben Schlägen in den Fels gehauen worden war.
    Sina wollte fragen, wo sie sich befanden, aber sie ahnte, daß sie keine Antwort bekommen würde. Noch nicht. Statt dessen zwang sie sich nachzudenken. Sie war verwirrt, natürlich, aber nicht allein wegen der Dinge, die Zacharias behauptet hatte. Vielmehr war es, als faßte sie gegen ihren Willen neues Vertrauen in diesen Mann, und dafür verachtete sie sich. Sie mußte sich erneut ins Gedächtnis rufen, was er ihr und Max angetan hatte. Sie erinnerte sich an Evelina und ihren Vater, an die verschwundene Larissa. Und vor allem an die drei Jahre beim Hex, Jahre voller Lüge und Heimlichtuerei, in denen man ihr die Wahrheit verschwiegen hatte. Irgendwer mußte sich prächtig über sie und die anderen Agenten amüsiert haben, und sie fragte sich, ob Zacharias am lautesten gelacht hatte. Plötzlich fiel es nicht mehr schwer, ihn zu hassen. Er hatte sie alle betrogen und der Lächerlichkeit preisgegeben.
    Aber, Lächerlichkeit – was bedeutete das schon? Nicht genug, um ihn dafür zu verachten. Da waren andere Dinge, die schwerer wogen.
    »Wo ist Larissa?« fragte sie unvermittelt, doch ihre Worte gingen in einem erbärmlichen Jaulen unter. Überall im Berg heulten Alarmsirenen los.
    Ein Uniformierter kam ihnen entgegengelaufen und salutierte vor Zacharias. »Der Gefangene ist entkommen«, meldete der Soldat.
    »Welcher Gefangene?« fragte Zacharias scharf, obgleich er die Antwort zu ahnen schien.
    »Eisenstein.«
    »Wie konnte das passieren?«
    Der Soldat wurde kleinlaut. »Wir wissen es noch nicht. Möglich, daß der andere Flüchtling...«
    Zacharias brachte ihn mit einer scharfen Geste zum Schweigen. »Finden Sie beide, und zwar umgehend. Ich werde Sie persönlich für weitere Mißgeschicke verantwortlich machen.«
    »Jawohl«, entgegnete der Soldat zackig. Er war merklich blaß geworden.
    Der Alte gab ihm mit einem Wink zu verstehen, daß er verschwinden sollte. Während der Mann davonlief, wandte Zacharias sich an einen von Sinas Bewachern. »Sorgen Sie dafür, daß dieses Gebiet abgeriegelt wird. Oben können die beiden kaum Schaden anrichten, aber ich will keinen von ihnen hier unten sehen.«
    Der Soldat nickte und entfernte sich.
    »Probleme?« fragte Sina mit Unschuldsmiene. Und im stillen dachte sie: Eisenstein? Was zum Teufel hatte der hier verloren?
    Zacharias zog es vor, keine Antwort zu geben. Er führte sie und den verbliebenen Wächter eine breite Freitreppe hinab, die vor einem hohen, halbrunden Portal endete. Motorenlärm schlug ihnen entgegen, durchsetzt mit gebrüllten Befehlen und dem Splittern von Fels. In einen der Torflügel war eine schulterhohe Tür eingelassen; sie stand offen.
    Die Sirenen verstummten.
    Sina folgte dem Alten durch die Tür. Dahinter lag eine steinerne Balustrade, von der aus sie eine domartige Halle überblickten.
    »Was... was ist das hier?« stammelte Sina.
    Zacharias lächelte, nicht ohne Triumph. »Beeindruckend, nicht wahr?«
    Die Halle war voller Männer, zweihundert oder dreihundert. Sie alle trugen Arbeitskleidung, graue Overalls und feste Handschuhe. Im ersten Augenblick glaubte Sina, es sei ein geheimes Arbeitslager, aber die Arbeiter sahen zu kräftig und wohlgenährt aus. Soldaten patrouillierten zwischen ihnen umher, hielten ihre Waffen aber nicht im Anschlag. Die Arbeiter trugen mit dröhnenden Baggern, aber auch

Weitere Kostenlose Bücher