Hex
stoßen. Es roch nach Staub und Moder und nach der stechenden Hitze ihres Schweißes.
»Wo hin führen die Stufen?« rief Max gedämpft.
Sina keuchte vor Anstrengung, ihre Stimme klang schwach und heiser. »In den ersten Stock der Burg.«
Sie war froh, daß er nicht fragte, was sie dort erwarten würde. Immer wieder stellte sie sich selbst die Frage, wie Dominik sich verhalten würde, wenn sie einer Abordnung der Schwarzen Reichswehr gegenüberständen?
Die engen Windungen des Treppenschachtes machten sie schwindelig, ihr war schlecht, und die Kleidung klebte naß an ihren Gliedern. Immer wenn Evelina vor ihr stehenblieb, weil ihr der Atem stockte, mußte auch Sina innehalten; es war verlockend, einfach aufzugeben, sich hinzusetzen und abzuwarten, was geschehen würde. Doch jedesmal riß sie sich zusammen, spornte Evelina an weiterzugehen und sammelte ihre eigenen Kräfte, um sich abermals in Bewegung zu setzen.
Endlich gelangten sie nach oben. Dominik erreichte den Ausgang, stieß die Tür auf, taumelte in die Burg. Die übrigen stolperten erschöpft hinterher, ließen sich fallen, blieben am Boden sitzen, vergruben die Gesichter in den Armen. Max gab der Tür mit dem Fuß einen Stoß, sie fiel ins Schloß.
Außer ihnen war kein Mensch zu sehen. Auch aus den angrenzenden Räumen ertönten keine Laute. Zacharias mußte Befehl gegeben haben, die Burg vor der Sprengung zu räumen. Die Explosionen unter der Kapelle waren ferngezündet worden.
Die fünf waren ganz allein in der großen, stillen Kaiserburg. Allein mit dem, was sich unter ihnen im Berg befand.
»Was hat dein Vater gemeint, als er sagte, er müsse etwas wiedergutmachen?« Sina stieß die Worte aus wie ein Stöhnen, krächzend, schwer verständlich.
Dominik hörte und verstand sie. Trotz der Anstrengung war er kreidebleich, sogar seine Lippen waren weiß. Seine blauen Augen wirkten grau, als wären sie mit einer Staubschicht überzogen. Er öffnete den Mund einen Spalt breit und sah aus, als wollte er antworten; dann aber schwieg er nur und blickte starr ins Leere.
»Es war die Scheibe, nicht wahr?« Max lag auf dem Rücken, sein Brustkorb raste auf und nieder. Seine Armwunde blutete. Jetzt rappelte er sich langsam auf. »Die Scheibe, die mit der Lessing zusammenstieß, war dieselbe, in der sie das Wesen entdeckten, mit dem Kayssler experimentiert hat.«
Sina blickte von Max zu Dominik und wieder zurück. »Ich dachte, sie war nur noch ein Wrack?« Noch immer schien es nicht ihre Stimme zu sein, die da sprach, sondern nur ein tonloses Echo. Sie hätte sich nicht auf Dominik werfen und die Wahrheit aus ihm herausprügeln können, selbst wenn sie es gewollt hätte.
Zu ihrer Überraschung raffte Dominik sich zu einer Erwiderung auf. »Kein Wrack, nur beschädigt«, sagte er knapp.
Max lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür zum Treppenhaus. »Zacharias’ Leute haben es repariert. Es hat sieben Jahre gedauert, oben in der Forschungsstation im alten Thule, aber schließlich haben sie es instand gesetzt. War es nicht so, Dominik?«
Sein einstiger Freund nickte stumm.
Sinas Augen weiteten sich. »Du meinst, in der Scheibe waren...«
»Ja«, schnitt Max ihr das Wort ab. »Die Kollision mit der Lessing hatte nichts mit den Fremden zu tun.« Er lächelte humorlos. »In der Scheibe saßen Menschen.«
Seine letzten Worte hallten in der Stille nach wie ein Todesurteil.
Sina wandte sich mit einer schwerfälligen Bewegung an Dominik. »Ist das wahr?«
Sein Blick klärte sich für einen Moment, doch die leichenhafte Blässe blieb. »Es war ihr erster Flug«, bestätigte er gedankenverloren. »Nach all den Jahren, in denen sie die Geheimnisse der Scheibe erforscht hatten, sie Teil für Teil auseinandergebaut und untersucht hatten, hatten sie endlich herausgefunden, wie man sie bedient.«
In Sinas Kehle stieg ein Kichern auf; sie wollte es unterdrücken, vergeblich. Alle blickten sie betroffen an, »Es ist... nichts«, brachte sie mühsam hervor, immer noch gegen das irre Lachen ankämpfend. »Also das meinte dein Vater, als er von seinem Fehler sprach. Sie haben ihm ein Ultimatum gestellt, als sie erfuhren, was in Grönland geschehen ist. Er sollte ihnen helfen, ihre Spuren zu verwischen, einschließlich der Vernichtung jener, die davon wußten – oder sie... ja, was eigentlich? Drohten sie, die ganze Welt zu vernichten?«
»Ich weiß es nicht.« Dominiks Stimme klang, als würde sie im nächsten Augenblick gänzlich versagen. »Ich hatte keine
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