Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Denken.
    »Bitte«, stöhnte Larissa, der es gelungen war, den Knebel abzustreifen, »hätte einer von euch die Güte, endlich diese Fesseln durchzuschneiden!«
    Sina wandte sich ruckartig von dem Toten ab. »Ich mach’ das.«
    Larissa sah sie ungläubig an. »Du willst doch nicht...?«
    »Doch.« Damit hielt Sina Larissas Hände hoch, setzte die Pistolenmündung auf das Seil zwischen ihren Handgelenken und drückte ab. Die Kugel zerriß die Stricke und pfiff in den leeren Korridor davon.
    Daß Larissa nun frei war, gab Max neuen Auftrieb. Er drückte mit der Linken in bestimmter Reihenfolge gegen die Tafeln, doch ohne Erfolg. Er zeichnete gewisse Muster mit der Fingerspitze in das Fugengitter – ebenfalls vergebens. Schließlich versuchte er es mit einer Kombination von beidem, und endlich erwies sich, daß all die Jahre seiner Beschäftigung mit Treppen nicht umsonst gewesen waren.
    Ein schmaler Teil der Täfelung rastete mit einem Klacken aus und ließ sich zur Seite schieben. Dahinter war es stockdunkel.
    Sina atmete auf, Dominik stieß in heiseres Lachen aus.
    Im selben Augenblick sagte Evelina tonlos: »Vater ist tot.«
    Max fuhr herum und trat neben sie. Dominik und Sina zwängten sich bereits durch die Öffnung ins Treppenhaus, Larissa zögerte noch.
    Wilhelm von Poser lag leblos am Boden, Evelina kniete neben ihm und hielt seine Hand. Ihr Schatten lag tiefschwarz über ihm. Das Licht kam näher, brachte fremdartige Geräusche mit sich, ein fernes, kaum hörbares Knistern, fast wie leises Flüstern.
    Max legte den gesunden Arm um Evelinas Schulter und zog sie auf die Beine. »Komm, wir müssen hier weg.«
    »Wir können ihn doch nicht hier liegenlassen«, widersprach sie kraftlos, ließ sich aber ohne Widerstand zur Täfelung führen.
    Max nickte Larissa stumm zu. Sie nahm Evelina bei der Hand und zog sie mit sich durch das Loch. Max blieb als letzter zurück. Noch einmal schaute er auf seinen toten Vater, dann zurück zur Kreuzung, wo das Licht, das aus dem Quergang fiel, immer heller wurde.
    Er gab sich einen Ruck und schlüpfte durch die Täfelung. Die anderen erwarteten ihn; ihre Gesichter wurden von der Finsternis ausgelöscht, als er die Geheimtür zuschob.
    Er hörte, wie Larissa leise auf Evelina einredete: »Dein Vater hat mir das Leben gerettet. Ich glaube, er war es, der dem Leierkastenmann den Auftrag gab, mich zu beschützen.«
    »Leierkastenmann?« fragte Evelina, aber ihre Stimme klang gleichgültig. Sie schluchzte leise.
    »Seid still«, flüsterte Sina scharf. »Es kommt näher.«
    Tatsächlich drang das fremdartige Knistern sogar durch die Täfelung.
    »Wir müssen die Treppe hoch«, wimmerte Dominik.
    »Nein«, fuhr Max auf. »Es würde unsere Schritte hören. Seid ganz ruhig und bewegt euch nicht.«
    Dominik sah aus, als wollte er widersprechen; dann aber entschied auch er sich zu schweigen. In absoluter Stille hockte die kleine Gruppe da, um sie nichts als Finsternis.
    Die Fugen der Täfelung begannen zu glühen, ein helles Raster in der Schwärze, wie ein Gitter aus purem Licht.
    Evelina schluchzte auf, doch Larissa legte gleich ihre Hand auf den Mund des Mädchens. Keiner gab mehr einen Laut von sich, nicht einmal Kleidung raschelte.
    Das Fugengitter wurde immer heller, und zugleich kamen die Laute näher. Sie waren wie das Knistern eines Feuers, nur daß sie regelmäßiger, fast wie in einem rasenden Rhythmus ertönten.
    Es ist jetzt vor uns an der Kreuzung! durchfuhr es Sina in einem Anflug von Panik. Direkt vor uns!
    Und es verharrte.
    Sina blickte zu den anderen. Das Lichtgitter ließ ihre schweißnassen Gesichter zu fahlen Masken erstarren. Alle hatten die Augen weit aufgerissen, in angstvoller Erwartung der nächsten Sekunden.
    Dann, auf einen Schlag, wanderte das Licht weiter, das knisternde Flüstern entfernte sich. Es verklang nicht völlig, schien an ihnen haften zu bleiben wie ein schlechter Geruch, doch die Helligkeit wurde diffuser, schwand schließlich ganz.
    Erneut saßen sie in völliger Dunkelheit. Erst allmählich wagten sie wieder, Atem zu holen.
    Max faßte sich als erster. »Nach oben, schnell«, flüsterte er.
    Dominik hatte die Stufen in der Schwärze bereits gefunden und rannte voran. Hinter ihm stolperten Larissa und Evelina den schmalen Schacht hinauf, dann folgten Sina und Max; er hielt sich den verwundeten Arm. Die Wendeltreppe war so eng, daß sie nur hintereinandergehen konnten. Die Männer mußten die Köpfe einziehen, um nicht gegen die Decke zu

Weitere Kostenlose Bücher