Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Ahnung, was er vorhatte. Ich wußte nur, daß er das Wesen, das hier eingemauert war, befreien wollte – in ihrem Auftrag.« Er brach ab, sammelte sich und stieß fast panisch hervor: »Er wollte alle töten, sich selbst... mich...«
    Plötzlich schreckte Max von der Tür zum Treppenhaus zurück. »Was...?« Keine Sekunde später ging ein Zittern durch das Holz, es vibrierte gegen den Rahmen, ein anhaltender Laut wie von einem klopfenden Specht. Der dunkle Türspalt färbte sich grau, dann weiß, wurde immer heller und greller.
    »Raus hier!« schrie Sina aufgebracht, sprang auf die Beine und zog Evelina mit sich.
    Die anderen begriffen es im selben Augenblick.
    »Sie kommen!« brüllte Dominik. »Sie kommen rauf!«
    Voller Panik stürzten die fünf ins nächste Zimmer, stolperten und taumelten durch die nächsten Türen, bis sie in den großen Saal kamen, wo Zacharias Sina am Vortag empfangen hatte. Der riesige Schreibtisch war leergeräumt, der Kachelofen kalt.
    Hinter ihnen strahlte gleißendes Eislicht durch die Verbindungstüren, die Luft wurde auf einen Schlag kälter als der Polarwind.
    Aber es folgte ihnen nicht.
    Steinsplitter prasselten, Staubwolken wogten, als der Treppenschacht zusammenstürzte.
    Dann splitterte Glas.
    Zwei Fenster im Zimmer neben der Treppe explodierten nach außen. Ein Kristallregen schoß in den Abgrund der Nacht, sein Klirren übertönte das Flüstern und Knistern.
    Das Licht verblaßte.
    Max blickte durch die Verbindungstüren und ließ sich dann neben den Frauen auf den Boden sinken.
    »Sie sind fort«, sagte er müde.
     
    Lange noch sprach man später von dem Gewitter, das in jener Nacht über Nürnberg tobte. Von den dunklen, schwarzgeränderten Wolken hoch über der Stadt, die in ihrem Inneren vor brodelnder Energie zu leuchten schienen. Von dem Sturm, der die Menschen in ihre Häuser trieb und sie die Läden ihrer Fenster verriegeln ließ. Von den seltsamen Nordlichtern, die schillernd und bunt über den Nachthimmel zuckten. Und von den beiden Kugelblitzen, die aus der Burg emporschossen zu den Sternen, ehe sie zusammen mit den übrigen Lichtern zu Dunkelheit und Nichts verschmolzen.
    Man erzählte sich von Feuerbällen, die durch ein Fenster herein- und durch ein anderes hinausjagten. Von glühendem Hagel, der vom Himmel herabfiel wie aus einem Hexenkessel. Und von den Lichterscheiben, die manche gesehen haben wollten.
    Niemand, außer den wenigen, die es besser wußten, glaubte auch nur ein Wort davon. Kugelblitze? Vielleicht. Aber glühender Hagel? Leuchtende Scheiben? Höchstens am Boden eines Weinbrandglases!
    In jener Nacht verließen die fünf Überlebenden die Burg, ohne daß jemand sie aufhielt. Die Soldaten am Fuß des Burgberges waren zu sehr mit dem Sturm und den Erscheinungen beschäftigt; keiner war unter ihnen, der nicht den Blick zum Nachthimmel gerichtet hatte.
    Dominik trat nicht zu ihnen. Er wandte sich bleich wie ein Geist ins Dunkel, ging ohne ein weiteres Wort davon. Verschluckt vom heilsamen Schwarz der Nacht.

Epilog

Grönland, elf Tage später
    Der Nordwind wirbelte Wolken aus Eissplittern über die Hügelkuppe. Die Sonne stand niedrig über dem Horizont und übergoß den Himmel mit roter und gelber Glut. Endlose Schneefelder warfen die Farben zurück; es war, als stünde das Land in Flammen. Allein die Kälte verwischte die feurige Illusion, durchschnitt messerscharf die Kleidung der beiden Menschen, die sich schweigend den Hügel hinaufquälten.
    Sina und Max hatten den Schlittenlenker und seine Hunde unterhalb der Hügelkette zurückgelassen und legten das letzte Stück zu Fuß zurück. Mit ihren Fellstiefeln stapften sie durch hohen, unberührten Schnee. In der Stille des ewigen Eises klang das Knirschen bei jedem Schritt wie zerbrechendes Porzellan.
    Wenn sie sich umsahen, konnten sie am Horizont die See erkennen, und davor, gleich an der Küste, eine Ansammlung von dunklen Punkten. Die Häuser Qaanaaqs. Die Stadt, die einst Thule geheißen hatte, war aus der Ferne kaum mehr zu sehen. Um sie auszumachen, mußten ihre Blicken dem Verlauf der Schlittenspur folgen. Nahe der Stadt, auf einer Ebene die aussah wie ein See aus Gold, hatte das Luftschiff festgemacht, eine zigarrenförmige Silhouette, an deren Rand sich die Sonnenstrahlen brachen.
    »Wir haben’s gleich geschafft«, brummte Max in seinen Schal.
    Sina gab keine Antwort. Sie war die erste, die schließlich den Hügelkamm erreichte und auf die andere Seite hinabblickte. Sie stand da und

Weitere Kostenlose Bücher