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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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entgegengeschmettert, als die Sache zu Ende ging. Sie war froh gewesen, als die Tür hinter ihm zuschlug. Aber der Vorwurf nistete in ihrem Schädel. Zu dünn!
    Genau der richtige Augenblick für solche Erinnerungen, dachte sie lakonisch.
    Das rothaarige Mädchen gesellte sich zu dem zwergenhaften Kultführer auf die Bühne. Die Kleine war ohne Frage angeheuert. Gleich würde sie mit verstellter Stimme Obszönitäten von sich geben. Vielleicht machte sie auch nur die Beine breit.
    Das Publikum bebte vor stummer Erwartung. Einige der älteren Männer kniffen die Augen zusammen, damit sie alles, jede Kleinigkeit mitbekamen.
    Sina blickte zu Dominik. Der Sohn ihres Vorgesetzten schaute ebenfalls zum Altar, aber ihr entging nicht, daß er einen vorsichtigen Schritt zur Seite machte. Er stand jetzt ganz nah am Rand der Katakombenkulisse. Gleich neben ihm klaffte ein armlanger Spalt in der falschen Felsoberfläche.
    Sina unterdrückte ein mißbilligendes Kopfschütteln. Sollte es ihm tatsächlich gelungen sein, dort eine Waffe zu deponieren, würde er hoffentlich nicht so dumm sein, die Versammlung bereits an diesem Punkt zu sprengen. Es war zu früh. Noch war nichts geschehen, was eine Anklage rechtfertigen würde. Abgesehen vielleicht vom Einbruch ins Atelier.
    Zugleich aber verspürte Sina auch Neid, daß Dominik geschafft haben mochte, woran sie selbst gescheitert war. Es würde einige Vorurteile bestätigen, die im Hex kursierten. Zu seiner Ehrenrettung mußte man Dominik jedoch zugestehen, daß er keiner von denen war, die weibliche Hex-Agenten zu besseren Sekretärinnen abqualifizierten.
    Das nackte Mädchen legte sich mit einstudierten Bewegungen vor dem Zwerg am Boden nieder. Zu Sinas Überraschung machte er keine Anstalten, das Mädchen zu berühren. Im Gegenteil, er trat einen Schritt zurück, bis sein Rücken gegen den Altar stieß. Sein wirrer, unmelodischer Gesang wurde lauter und brach dann schlagartig ab.
    »Was sucht ihr?« rief er mit kindlicher Stimme in die Menge.
    »Wir suchen Schutz in allen Dingen«, kam die vielstimmige Antwort.
    »Dann sei Anubis mit uns«, rezitierten Priester und Menge gemeinsam. Der Zwerg hatte die Arme gespreizt, seine Augen geschlossen und den übergroßen Kopf in den Nacken gelegt.
    Sina kannte die altägyptischen Rituale, die in vielen solcher Sekten praktiziert wurde. Die Antworten waren ihr längst in Fleisch und Blut übergegangen. Mit einem zufriedenen Seitenblick registrierte sie, daß für Dominik keineswegs dasselbe galt.
    »Was sucht ihr?« fragte der Zwerg erneut.
    »Wir suchen spirituellen Beistand.«
    »Ptah sei mit uns.«
    »Was sucht ihr?«
    »Wir suchen das Wissen um den Willen der Götter.«
    »Nephthys sei mit uns.«
    Dominik wirkte verunsichert. Er trat nervös von einem Fuß auf den anderen.
    »Was sucht ihr?«
    »Wir suchen Kraft und Nahrung.«
    »Hathor sei mit uns.«
    Das Mädchen vor dem Altar bäumte sich auf, als biete sie ihren Unterleib einer mystischen Macht dar. Sina verkniff sich ein Grinsen. Keine solche Zeremonie ohne unsichtbaren Liebhaber. Die Betrüger waren erschreckend einfallslos.
    »Was sucht ihr?«
    »Wir suchen den Pfad des wahren Karma.«
    »Toth sei mit uns.«
    Schweiß glänzte auf Dominiks Stirn, er machte sich Sorgen. Sina aber wußte, daß er nicht auffallen würde. Der Mann am Eingang hatte auch sie für einen Neuling gehalten. Es mußte noch weitere unter den Anwesenden geben, die mit dem Ritual nicht vertraut waren.
    »Was sucht ihr?«
    »Wir suchen Freude und Erfüllung.«
    »Bast sei mit uns.«
    Sina bemerkte Bewegungen am Rand der Kulisse, dort, wo sie selbst eben hergekommen war. Gestalten schoben sich aus den Schatten, vier unbekleidete Männer. Ihr Blicke waren auf das stöhnende Mädchen am Altar gerichtet. Sie näherten sich den hinteren Reihen. Zu ihrem Entsetzen erkannte Sina unter ihnen den Torwächter, den sie am Morgen bestochen hatte, um auf das Gelände zu kommen. Wenn er sie wiedererkannte...
    Langsam bewegte sie sich weiter nach rechts, fort von den Neuankömmlingen und in Dominiks Richtung. Einer ihrer Nachbarn runzelte mißbilligend die Stirn.
    »Was sucht ihr?«
    »Wir suchen Harmonie und Erlösung.«
    »Horus sei mit uns.«
    Der Torwächter konnte seine Augen nicht von dem zuckenden Mädchen abwenden. Mit stummen Mundbewegungen fiel er in die Litanei ein. Sina schob sich weiter zur gegenüberliegenden Seite der Kulisse. Sie sah, wie Dominik bemerkte, daß sie ihren Platz verlassen hatte. Seine Hand

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