Hex
schließlich auch vor Erwachsenen. In winzigen Varietés und Kellertheatern. Aber er wollte nach draußen, ins Licht der großen Bühnen. Wollte den Titel Magier wirklich verdienen.
Der Fremde kam auf ihn zu und reichte ihm eine Photographie. Der Magier legte die Waffe beiseite und nahm sie entgegen. Trotz der Dunkelheit im Raum konnte er das Bild gut erkennen. Es war ein professionelles Portrait, sehr scharf und perfekt ausgeleuchtet. Eines von der Sorte, das Eltern auf ihre Kommoden stellen. Es würde leichtfallen, die Person wiederzuerkennen.
Der Magier wedelte mit dem Bild. »Wer ist das?«
»Wieviel müssen Sie wissen?«
»Soviel wie möglich.«
Der Mann zog einen prallgefüllten Papierumschlag unter dem Mantel hervor. »Hier drin finden Sie alles, was Sie brauchen. Einige Erklärungen, Flugscheine, Orte und Zeiten. Außerdem einen Termin, wann und wo wir uns wiedersehen. Sollte es aus irgendeinem Grund erforderlich sein, daß Sie Kontakt zu mir aufnehmen, werden Sie auch dafür eine Adresse finden. Sie können dort eine Nachricht hinterlassen. Aber ich glaube nicht, daß das erforderlich sein wird.«
»Nein.«
»Gibt es sonst noch etwas, das Sie benötigen? Im Umschlag steckt auch ein kleinerer Betrag für den Fall, daß Sie noch warme Kleidung brauchen. Sie sollten morgen früh vor den Start des Luftschiffes genügend Zeit haben, ein paar Sachen zu besorgen.«
Der Magier ließ den Umschlag verschlossen und legte ihn auf den Garderobentisch. »Die erste Hälfte, wie bekomme ich die?«
»Liegt im Geldschrank der Abflughalle für Sie bereit. Sie können sie mitnehmen oder auch bis zu Ihrer Rückkehr dort deponieren. Im Umschlag befindet sich ein falscher Ausweis. Legen Sie ihn vor, und man wird Ihnen alles aushändigen.«
Der Magier schwieg einen Moment lang nachdenklich, dann nickte er. »Lassen Sie mich jetzt allein.«
»Selbstverständlich.« Der Umriß des Mannes bewegte sich zum Ausgang. »Viel Glück.« Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß.
Der Magier hinterließ dem Theaterleiter einen Zettel mit einer Adresse, an die er seine Utensilien schicken sollte. Dann steckte er den Umschlag ein und verließ durch den Hinterausgang das Gebäude.
Es gab noch etwas zu erledigen, bevor er sich mit dem neuen Auftrag beschäftigte. Die Kinder hätte es zweifellos erschreckt. Aber das war gut so – vielleicht hatte das Schreien in seinem Kopf dann endlich ein Ende.
Max steuerte sein Automobil durch das abendliche Berlin und fragte sich, weshalb das Schicksal ausgerechnet ihn bestrafte. Dabei war die Antwort so einfach: Ein paar Einwände zu viel, einmal zu oft den Trotzkopf gespielt. Und schon bist du unterwegs nach Grönland.
Nach Grönland!
Auf dem Weg zu Larissas Wohnung fuhr er einen Umweg. Mehr als das; er kreuzte quer durch die Stadt, über befahrene Hauptstraßen und durch die engen Gassen am Alexanderplatz. Er tat das oft um nachzudenken. Denn das Schlimmste stand ihm noch bevor. Nicht nur hatte sein Vater heute zu einem großen Empfang in der Familienvilla geladen und Max dringend gebeten, daran teilzunehmen; zu allem Übel sollte er Larissa mitbringen, und er wußte, wie das enden würde. Mit langen Gesichtern in den Reihen seiner Verwandten, seinem Vater, der mit Enterbung drohte, wenn er ›dieses Geschöpf‹ heiraten würde – und schließlich mit Larissa, die das beschämende Schauspiel mit Engelsgeduld ertragen würde, um anschließend ein weiteres Mal unter Tränen ihre Hochzeit in Frage zu stellen. Noch dazu würde Max ihr beibringen müssen, daß sie den Termin verschieben mußten, weil er an dem geplanten Tag bei zwanzig Grad minus durch eine Eiswüste stapfen oder sich – bestenfalls – mehrere hundert Meter über dem Ozean befinden würde.
Er lenkte den Wagen durchs Scheunenviertel, eine jämmerliche Ansammlung alter, heruntergekommener Häuser im Herzen der Stadt. Hier lebten Tausende eingewanderter Ostjuden, die verzweifelt und desillusioniert in ihren Elendsquartieren dahinvegetierten. Es war kein Geheimnis, daß eingesessene jüdische Deutsche gegen die Einwanderer intrigierten, weil sie fürchteten, deren schlechter Ruf könne auf sie abfärben. Und da auch ansonsten die Meinung vorherrschte, die zerlumpten Familien sollten zurückkehren, woher sie gekommen waren, bot das Viertel und seine Bewohner einen entsetzlichen Anblick. Es stank nach Abfall, der nicht geleert wurde, nach verstopften Wasserleitungen und übervollen Sickergruben, nach Krankheit, Armut und
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