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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Haaresbreite an einer Säule des Brandenburger Tors vorbeigesteuert hatte. Nein, er war wirklich kein guter Fahrer. Aber das waren die wenigsten Automobilbesitzer, und die meisten von ihnen benutzten die öffentlichen Droschken und Trambahnen häufiger als ihre teuren Fahrzeuge.
    Die Haustür war nur angelehnt. Max stieg die Treppen der vier Stockwerke hinauf, bis er schließlich atemlos am Eingang der kleinen Dachwohnung ankam. Larissa hatte ihn schon kommen hören. Sie riß die Tür auf, als er die Hand hob, um anzuklopfen.
    Sie küßte ihn und schickte ihn ins Wohnzimmer. Sie selbst verschwand in der Küche und machte sich am Spiegel über dem Waschbecken zurecht.
    Die Wohnung war geschmackvoll und modern eingerichtet. Die Schleiflack- und Metallmöbel besaßen klare, einfache Formen und waren platzsparend in kleinen Gruppen angeordnet.
    Nach wenigen Minuten trat Larissa ins Wohnzimmer. Max fand, daß sie atemberaubend aussah. Ihr hellblondes, lockiges Haar fiel lang über ihre schmalen Schultern. Sie trug ein ärmelloses Kleid, vorne und hinten spitz zugeschnitten, aus weißem, glattem Spitzenstoff und Crèpe de Chine. Beides war wechselweise in senkrechten Streifen angeordnet, die sich in Höhe der Taille verengten, um Weite und Luftigkeit des langen Rockes zu betonen. Darunter schimmerte ein schwarzes Unterkleid mit schmalen Trägern. Kein Zweifel, daß der Rest der Abendgesellschaft neben ihr verblassen würde. »Eben eine Schauspielerin«, würden die übrigen Damen munkeln und offenlassen, ob sie Larissa beneideten oder verachteten.
    »Kein Frack?« Mit schalkhaftem Lächeln musterte sie Max von oben bis unten. Er trug einen schwarzen Ausgehanzug, teuer, aber der Festlichkeit im Hause seines Vaters nicht ganz angemessen.
    »Den einzigen, den ich hatte, haben die Motten gefressen«, entgegnete er schulterzuckend. Ein Glück, daß das Ding hinüber war; er hatte sich darin so steif gefühlt wie ein Kempinski-Kellner.
    »Sag’s nicht deinem Vater«, empfahl Larissa, »oder er läßt dir gleich einen neuen besorgen.«
    »Gott bewahre. Ich würde aussehen wie er.«
    Larissa tänzelte heran und küßte ihn. »Niemals.«
    Er konnte sich nicht daran satt sehen, wie sie sich bewegte. Trotzdem hielt er sie fest; er konnte auch nicht genug von ihren Küssen bekommen.
    Schließlich löste sie sich von ihm. »Wir fahren mit dem Wagen, fürchte ich.«
    »Sicher.«
    Sie schluckte in gespieltem Schrecken. »Dann sollten wir jetzt vielleicht losfahren. Unfälle nicht eingeschlossen, wären wir gegen halb neun da. Was stand auf der Einladung?«
    »Halb acht.«
    »Du bist unmöglich.«
    »Ich bin sein Sohn.«
    »Du meinst, der Portier läßt uns trotzdem rein?«
    »Wenn nicht, um so besser.« Das meinte er ernst.
    Sie stubste mit dem Zeigefinger an seine Nasenspitze. »Ach, komm. So schlimm wird’s nicht werden. Ich weiß ja, was mich erwartet.«
    »Mit offenen Augen zur Schlachtbank.«
    »Sind wir doch gewohnt.«
    Sie wollte sich abwenden, aber er umarmte sie erneut. »Warte noch. Ich muß dir etwas sagen.«
    »Kannst du das nicht im Wagen?«
    »Lieber nicht.« Er hielt einen Augenblick inne, um die richtigen Worte zu finden. Dann erzählte er ihr von dem Gespräch in Zacharias’ Biedermeierbüro, von der Reise nach Grönland und sogar – obwohl ihm das streng verboten war – von der Explosion im Ewigen Eis.
    Danach blieb sie eine Weile still, ehe sie leise fragte: »Wir müssen die Hochzeit verschieben?«
    Er schloß für einen Moment die Augen und streichelte ihren Rücken. »Ich fürchte, ja. Nur um ein, zwei Wochen.«
    »Versprichst du’s?« Larissa blickte ihn aus ernsten, großen Augen an.
    »Ja, sicher.«
    »Gut.« Mehr sagte sie nicht, nur dieses eine Wort, untermalt von einem unvermittelten Lächeln.
    Max musterte sie zweifelnd. »Das ist alles? Keine Vorwürfe?«
    Ihr Lachen klang ein wenig zu hell. »Soll ich damit schon vor der Heirat anfangen?«
    Er zog ihre Lippen an die seinen und wünschte sich, sie müßten jetzt nicht fortgehen. Wünschte sich, er müßte nicht fortgehen, morgen früh.
    Dann fuhren sie los.
     
    »Es ist eine Zumutung«, sagte der kleine alte Mann in seiner makellosen Husarenuniform. »Wie nennt man das? Foxtrott, Charleston? Eine Zumutung, sage ich Ihnen.«
    Sein Gegenüber, ein goldbebrillter Kaplan, lächelte verständnisvoll. »Shimmy heißt es, mit Ypsilon am Ende. Sie sollten nicht so streng sein, Herr Baron, die jungen Leute tanzen ebenso gerne wie Sie in Ihrer Jugend.«
    »Eine

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