Hexen in der Stadt
ihnen nicht vor, unerbittlich zu sein. Mit einem Male hörte der Knabe eine Stimme, die ihn fragte, ob er nun endlich bereit sei, reuig alles zu bekennen, ohne Vorbehalt. Ja, ja, das wollte er und nichts mehr verschweigen, gewiß nichts mehr. Nur nicht sterben, nicht sterben!
Endlich wagte er aufzublicken. Der schreckliche Mann mit dem Schwert war verschwunden, auch der Stuhl. Hatte er nur geträumt? Die Patres faßten ihn unter den Schultern, richteten ihn auf, reichten einen Becher Wasser und sprachen ihm tröstend zu. Ein Blatt Papier war plötzlich in ihren Händen, einer las daraus vor. Der Knabe verstand kein Wort, wiederholte nur immer ja zu allem. Man drückte ihm eine Feder in die Hand, wies auf eine Stelle: »Da unterschreib!« Er gehorchte und hörte über sich die lateinischen Worte der Lossprechung. Mit nassen Augen blickte er auf. War er wirklich gerettet?
Der Beichtvater legte ihm die Hand auf die Schulter. »Du hast klug getan, mein Sohn, daß du nicht so verstockt gewesen bist wie der Reitzenstein.«
Der Reitzenstein? Erst langsam begriff er. Der Pater nickte ernst auf seine stumme Frage. »Er war nicht zu retten. Bete für seine arme Seele!« Das war der erste Eishauch in dem neugewonnenen Leben. Der Reitzenstein tot – und war verstockt geblieben bis zuletzt!
Zuerst vergaß der Knabe das schnell. Die Rückkehr in die Freiheit betäubte ihn. Zwar mußte er weiter in der Dachkammer schlafen, die jede Nacht verschlossen wurde. Zwar saß er beim Unterricht und bei Tisch abseits von den anderen und mußte während der Messe mit einer brennenden Kerze vor der Kapellentür stehen zur Buße für seine schweren Sünden. Aber im Anfang machte er sich nicht viel daraus. Erst allmählich begriff er, daß er nicht frei geworden war, sondern nur das Gefängnis gewechselt hatte.
In einer Nacht erwachte er, weil ihm so war, als hätte der Reitzenstein an die Wand geklopft. Er setzte sich auf und wußte mit einemmal so klar wie nie vorher: Er ist tot, ohne Gericht ermordet an der gleichen Stelle, wo ich an jenem Morgen stand. Aber er ist nicht schwach geworden, ist lieber gestorben. Und der Knabe schämte sich vor dem toten Freund. Am nächsten Morgen schien es ihm, als blickten ihn die Kameraden verächtlich an. Sicher wußten sie von seiner Feigheit. Was hatte er anderes verdient als ihre Verachtung, da er um solchen Preis sein Leben erkauft hatte!
Er ahnte nicht, wie wenig sie alle wußten, daß er den leichtsinnigen Junkern nur als schauerliches Exempel hingestellt wurde, und daß jedes Gespräch mit ihm verboten war. Auch wußte er nicht, wie sehr sein Gesicht von den ausgestandenen Qualen gezeichnet war. Das Verbot wäre kaum nötig gewesen, den meisten graute vor ihm.
Dann eines Tages kam der Vater. Noch einmal hoffte der Knabe. Der Vater würde helfen, ihn hier fortnehmen, zum Heer schicken, wenn er ihn darum bat. Aber als er ihm ins Gesicht sah, konnte er um nichts bitten. Der Herr von Rotenhan hatte das Geständnis seines Sohnes gelesen und begriff nichts mehr. Wohl hatte er ihn selbst zum Nachgeben ermahnt, aber was das bedeutete, was ein Hexengeständnis war, das hatte er sich nicht vorzustellen vermocht. Ihn ekelte es. »Ist das alles wahr, was du da unterschrieben hast?« fragte er.
Der Knabe wollte erklären, wie diese Unterschrift zustande gekommen war. Aber er ahnte, daß der Vater ihn wohl lieber für einen Verruchten halten wollte als für einen Feigling. Er schloß die Lippen und senkte stumm den Kopf.
»Wenn sie dich trotzdem noch zum Domherrn wollen«, grollte der Rotenhan, »dann bleib! Aber nach Hause kommst du mir nicht mehr.« Sporen klirrten über den Estrich, die Tür krachte ins Schloß. Auch den Vater hatte der Knabe verloren.
Danach vollendete sich sein Schicksal rasch. Ein paar Tage später wurde er bei der Vesper vermißt. Sogleich wurde die ganze Dienerschaft, dazu alle Patres und Domicellare ausgeschickt, ihn zu suchen. Man fand ihn bald in einer engen Gasse hinter dem Seminargarten, in die er von der Mauer gesprungen war.
Da war nichts mehr zu verbergen. Er gab beim nächtlichen Verhör auch alles trotzig zu: »Ja, ich wollte fort und will es auch noch. Ich bereue nichts und widerrufe alles, was ich gestanden habe. Ich wurde dazu gezwungen, aber zum zweiten Male zwingt mich keiner.« Der Fall lag klar. Eine Anfrage beim Bischof war kaum noch nötig. Das Urteil war über den Rückfälligen schon im Voraus gesprochen.
Noch einmal schloß sich die Tür der Dachkammer
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