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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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einer Stadt zugeht, die ganz und gar dem Hexenglauben verfallen ist. Ich wähle mit Bedacht das Wort »verfallen«, ich könnte auch sagen: befallen oder verseucht. Denn nicht anders kommt es mir vor: eine Krankheit des Geistes und Gemüts hat diese Menschen hier ergriffen, daß sie in allem, was sie nicht verstehen – und das ist vieles! –, ein Werk des Teufels sehen und in jedem Menschen, der ihnen mißfällt, einen Teufelsgenossen. Das übrige tut dann das Wundermittel der Folter. Ach, mein Vater, ich wollte, es bliebe mir erspart, Euch zu schildern, welche Einblicke ich seit meinem letzten Brief an Euch in das Wesen dieser Prozesse gewonnen habe!
    Ihr sollt auch erfahren, daß ich die Schwäche des Fleisches überwunden und mich in die Folterkammer gewagt habe, mehr als einmal. Ob mir gleich oftmals das Herz brechen wollte beim Anblick solcher Qualen, achtete ich doch genau auf alles, was vorging. Denn wie könnte ich der gerechten Sache besser dienen, als wenn ich nach größter Klarheit strebe in allem, was mein Amt angeht.
    Und dies war das erste, was ich erfuhr und mit eigenen Augen sah: Immer wieder hatte ich in den Protokollen mit Verwunderung gelesen, wie viele Malefikanten die greulichsten Hexereien schon gütlich und ohne Tortur eingestehen. Nun sah ich, wie solche Geständnisse zustande kommen. »Gütlich und ohne Tortur« heißt es noch, wenn Meister Conz dem Angeklagten die Foltergeräte und ihre grausame Anwendung beschreibt, »gütlich und ohne Tortur« noch, wenn die Daumenschrauben die Finger blutig zermalmt haben, und auch noch nach Anwendung der Beinschrauben. Sogar, wenn der Malefikant in der Pause zwischen zwei Folterungen gesteht, aus Angst vor Schlimmerem, hat er »gütlich und ohne Tortur« gestanden. Die schlimmeren Grade, die ich mit ansah, sind so furchtbar, daß ich nichts davon niederschreiben mag. Es sind solche Qualen, daß kein Mensch, ob schuldig oder nicht, ihnen widerstehen kann. Er muß alles bekennen, was von ihm gefordert oder ihm vorgesagt wird, ja, noch viel mehr.
    Denn auch dies nahm ich wahr: Wenn einer faul ist im Bekennen und nicht die rechten Worte findet, vielleicht weil er nichts zu gestehen hat, so werden ihm Fragen vorgelegt, der ganze scheußliche Kanon des Malleus maleficarum, und aus Angst und Pein sagt er dann ja zu allem. So kommen die gleichlautenden Geständnisse der Hexen zustande, die manchem Unwissenden ihre Echtheit zu beweisen scheinen. Sie beweisen aber das Gegenteil.
    Hat einer aber unter Schreien und Jammern und halber Zurücknahme endlich genug gestanden, um das Todesurteil zu verdienen, so wird er weiter gefoltert, damit er Mitschuldige nenne. Auch deren Namen werden oftmals vorgesagt. Am Ende hat jede verurteilte Hexe, wenn sie sich auch noch so sehr sträubt, fünf, sechs und mehr des gleichen Lasters beschuldigt. Denen steht dann der gleiche Weg zum gleichen Ziel bevor. Wundert Ihr Euch noch, daß diese Prozesse ins Ungemessene wachsen und kein Ende finden?
    Widersteht aber einer, hält die furchtbaren Qualen aus, ohne sich ein Geständnis entreißen zu lassen, so wird er nicht nach dreimaliger Tortur freigelassen, wie es des weiland Kaiser Caroli Peinliche Halsgerichtsordnung vorschreibt. Nein, er wird ohne Geständnis verurteilt und als unbußfertiger Sünder lebendig verbrannt. Denn nur der Teufel, sagt man, kann ihm die Kraft zu so unmenschlichem Widerstand geben. Es sind seither solche Fälle auch hier vorgekommen, wenngleich selten.
    Was ich schreibe, mein Vater, sind nicht zweiflerische Hirngespinste, sondern der wahre Hergang der Dinge, wie ich ihn selbst erlebt habe. Fragt Euch, was ich danach von diesen Prozessen halten soll! Ich gehe nicht so weit, das Vorhandensein von Hexen zu leugnen, und was mit ihnen zusammenhängt. Wie käme mir das zu! Das aber sage ich offen und will dafür einstehen auf jede Weise, auch mit meinem Leben: Wenn es auf diese Art weitergeht, und nicht bald etwas geschieht, so wird in Kürze die Stadt so voller Hexen sein, daß keiner mehr übrigbleibt, die letzten zu richten.
    Meine Worte mögen Euch hart, und was ich sage, übertrieben scheinen. Aber glaubt mir, ich übertreibe nicht. Die Schicksale, die ich hier täglich sich vollenden sehe, sind auch hart und werden nicht gelinder durch fromme Umschreibungen. Da ist ein unbescholtenes Mädchen in dieser Stadt in Verdacht geraten. Das kränkt sie so, daß sie mit diesem Ruf nicht weiterleben will. Sie schlägt die Rettung aus, die ihr ein Liebhaber anbietet,

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