Hexen in der Stadt
Verteidigung entschieden.
Sein Beichtvater hatte an diesem Morgen nicht mehr den verstörten Knaben vorgefunden, der im gleichen Augenblick Besserung gelobte, wie er sich unbelehrbar zeigte. Nach den ersten Worten unterbrach ihn der Junker in festem, aber nicht unbescheidenem Ton. Er bekenne sich schuldig, einen schlechten, seiner künftigen Bestimmung unwürdigen Lebenswandel geführt zu haben. Er wolle sich nicht damit rechtfertigen, daß die meisten seiner Kameraden es nicht besser machten. Aber an dem größeren Verbrechen, dessen er angeklagt werde, wisse er sich ganz und gar schuldlos. Sie sollten aufhören, ihn zu plagen. Bei ihm gebe es keinen Teufel auszutreiben. Dagegen fordere er, vor Gericht gestellt zu werden, ja, vor ein Gericht von seinesgleichen, wie es ihm als einem Edelmann zukomme. Zuletzt hatte die brüchige Bubenstimme sich doch streitbar erhoben, aber das tat dem Ausdruck äußerster Entschlossenheit keinen Eintrag.
Der Pater wunderte sich sehr und ging, sich mit dem Kollegium über diese neue Schwierigkeit zu beraten. Er fand alle ziemlich beunruhigt vor, schon über den Besuch des Vaters. Sicher vermochte der Herr von Rotenhan nicht viel und war leicht abzuweisen gewesen. Aber würde er allein bleiben? Wenn die Ritterschaft sich einmischte und höhere Instanzen anrief, konnte es ernste Schwierigkeiten geben. Schon daß sich der Junker an diesem Morgen so verändert gezeigt hatte, ließ vermuten, daß er auf unaufgeklärte Weise von einer Unternehmung zu seinen Gunsten unterrichtet sein könnte. Es galt, schnell zu handeln.
Auf welche Weise das geschehen sollte, darüber gingen die Meinungen auseinander. Gewisse Methoden hatten unter den feineren Köpfen nicht mehr viele Freunde. Dennoch beschloß man, beim Bischof anzufragen, ob es erlaubt sei, den verstockten Sünder durch jenes besondere Schreckmittel zu erweichen, dessen man sich schon einmal bedient hatte. »Mit wenig Erfolg, wenn Wir recht berichtet sind«, lautete die verdrießliche Antwort. Aber schließlich waren auch Fürstliche Gnaden ungeduldig geworden. Der Fall mußte zu einem Ende kommen, so oder so, ehe Dritte sich einmischten und neue Schwierigkeiten schufen. Den Patres wurde freie Hand gewährt.
Indessen saß der Knabe in seiner dunklen Kammer und sah tagelang niemanden als den stummen Laienbruder, der ihm das Essen brachte und keine seiner Fragen beantwortete. Fast reute ihn schon der eigene Mut. Hatte er etwas bewirkt? Aber was? Nach einer Woche einsamen Grübelns war der Knabe so weit, daß er aufatmete, als sich am Ende einer schlaflosen Nacht im Morgengrauen Schritte seiner Tür näherten.
Zwei Patres traten ein, sein Beichtvater und einer, den er noch nicht kannte. Sie begrüßten ihn gemessen, aber nicht unfreundlich, und forderten ihn auf, mit ihnen zu gehen. Verwirrt, von unklaren Hoffnungen erfüllt, gehorchte der Knabe, folgte ihnen die Treppen hinunter, durch das Tor hinaus in die dämmrige Gasse, wo ein geschlossener Wagen hielt. Man hieß ihn einsteigen, die beiden Patres setzten sich zu ihm.
Nun aber konnte der Knabe seine Spannung nicht länger bezwingen. »Wohin fahren wir? Zum Bischof hinauf? Oder heim? Wohin?«
Die beiden lächelten geheimnisvoll und schüttelten die Köpfe. »Es geht nicht so weit, wie du denkst«, sagte endlich der Beichtvater. »Wir treten unsere Verantwortung für dich an eine höhere Instanz ab, das ist alles.«
»An den Richter?« fragte der Knabe atemlos.
»Ja, dem Richter!« erwiderte der fremde Pater mit einer harten Stimme, die der Knabe jetzt zum ersten Male hörte.
Sie hätten es mir sagen müssen, dachte er. Nun hab’ ich keine Zeit gehabt, mir die rechten Worte zu überlegen. Aber diese Bedenken vergingen vor dem berauschenden Triumph:
Du hast es durchgesetzt, man wird dich hören, dir wird dein Recht werden!
Der Wagen hielt. Sie stiegen aus und standen auf dem Domplatz vor der bischöflichen Kanzlei. Noch sah der Knabe die Turmspitzen im ersten Sonnenrot glühen, dann traten sie durch den dunklen, hallenden Torweg in den Kanzleihof. Der Knabe blieb stehen und erstarrte. Er sah – das Recht, das ihm werden sollte: den Henker, auf sein breites Schwert gestützt, hinter einem Stuhl aus rohem Holz, von einer schrecklichen Farbe geschwärzt.
Das war zu viel, zu plötzlich der Sturz aus verwegenen Hoffnungen in die Wirklichkeit. Der Knabe brach in die Knie und schrie, schrie und schrie, flehte um sein Leben.
Die beiden Patres tauschten einen Blick. Ihre Rolle schrieb
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